Rezension

Schachspiel der Königinnen...

Real Tigers - Mick Herron

Real Tigers
von Mick Herron

Bewertet mit 5 Sternen

Schachspiel der Königinnen - und viele Bauernofper drumherum. Aber die Slow Horses spielen nicht immer nach den vorgegebenen Regeln...

Catherine Standish ist die diskrete Assistentin von Jackson Lamb, dem jähzornigen Chef der Geheimdienstagenten, die im Dienst versagt haben. Als sie eines Morgens nicht zur Arbeit erscheint, merkt sogar Lamb, dass sie fehlt. Mehr noch: Sie wurde entführt – von einem ehemaligen Liebhaber. Doch Catherines Entführung ist nur die Spitze des Eisbergs einer viel größeren Verschwörung – gegen den MI5 und sogar den Premierminister. 

Dies ist bereits der dritte Band um die Agententuppe der Slow Horses - so werden die abgehalfterten Mitarbeiter des englischen Geheimdienstes genannt, die ihr Gnadenbrot im Slough House erhalten. Obwohl - Gnade? Was könnte langweiliger, hoffnungsloser, deprimierender sein, als ausgerechnet dort sein Leben als eben-nicht-Agent zu fristen? Noch dazu unter einem Chef, der einem jeden Tag vor Augen führt, dass niemand, wirklich niemand Wert auf die Arbeit legt, die dort vollbracht wird? 

 

Kein Mensch verließ Slough House am Ende eines Arbeitstages und fühlte sich, als hätte er zur Sicherheit der Nation beigetragen. Man verließ es, als wäre das eigene Gehirn durch einen Entsafter gepresst worden. (S. 31)

 

Eine Loser-Truppe sind sie, die Slow Horses, und Jackson Lamb passt als Chef hervorragend dazu. Er hat kein Benehmen, schert sich nicht um Eigentumsverhältnisse, führt sich auf wie ein absolutistischer Despot, stinkt und ist stets ungepflegt, frisst, säuft und qualmt wie ein Schlot, und hält vor allem mit seiner Menschenverachtung nicht hinter dem Berg. Er behandelt seine Untergebenen wie Leibeigene und bringt sie beinahe täglich zu dem, was die Vorgesetzten beim MI5 geradezu hoffen: zu kündigen.

Doch irgendwie sind die am Leben Gescheiterten im Slough House zäh und hart im Nehmen. Und wenn sie nicht gerade bei einem unvorhergesehenen und meist nicht offiziellen Einsatz ums Leben kommen, fristen sie ihr trostloses Dasein während und nach der Arbeit, bis zufällig der nächste Einsatz ins Haus steht. Und das ist auch hier wieder der Fall, zumal es diesmal gleich einen der ihren trifft: die allseits beliebte Sekretärin des Hauses, Catherine Standish.

 

"Es würde nur einen Wimpernschlag kosten, Sie alle auf die Straße zu setzen. Es liegt nicht nur daran, dass Ihre Leute im Grunde nutzlose Arbeit verrichten. Doch jedes Mal, wenn sie etwas tun, was sie nicht tun sollen, endet das in einem Chaos, das immens viel Aufwand nach sich zieht." Lamb nickte stolz. (S. 207)

 

Ein ehemaliger Liebhaber hat Catherine entführt, doch spielen Gefühle als Tatmotiv keine Rolle. Zumindest keine, die hinsichtlich einer (ehemaligen) Beziehung von Bedeutung wären. Immer tiefer taucht der Leser hier in ein perfides Schachspiel ein, das unter den offensichtlichen Zügen an der Oberfläche zunehmend weit verwinkelte Pläne und Hintergründe offenbart, die sich bis in oberste Hierarchiestufen ziehen. Ein Schachspiel, das viele Bauernopfer fordert, Aufräumkommandos inbegriffen. Und doch erweisen sich die Slow Horses einmal mehr als Spielverderber - oder versuchen es zumindest.

Mick Herron ist ein Erzähler. Er kreiert mit seiner Agenten-Reihe voller Verlierertypen eine besondere Art des Spionagethrillers und spart dabei nicht mit Kritik an gängigen Praktiken der Geheimdienste, die sich quer durch alle Staaten ziehen, nichtsdestoweniger aber gegen alle Menschenrechte verstoßen. Neben der packenden Handlung ist auch der bildhafte Schreibstil lobend zu erwähnen, der eine atmosphärische Dichte ebenso hervorruft wie er Bilder im Kopf des Lesers erzeugt. Das Düstere, Hoffnungslose, Melancholische gewinnt so derart an Kontur, dass man beim Lesen gelegentlich glaubt, Teil des Ganzen zu sein.

Der Autor lässt sich Zeit mit seiner Erzählung, und doch scheint auch diesmal kein Wort zu viel. Perspektivwechsel mit geschickt eingebauten Cliffhangern sorgen für ausreichende Spannung, die gegen Ende ebenso wie das Tempo noch einmal deutlich anzieht. Überragend auch diesmal wieder der Humor: trocken, schwarz, zynisch und - ja, englisch eben. Herrlich und immer wieder an unerwarteten Stellen eingebaut, sorgten diese Einlagen bei mir selbst an Punkten höchster Anspannung für etliche Lacher. 

 

"Vergiss nicht, dass ich an mein Team denken muss." --- "Wirklich? Das wäre das erste Mal." --- "Sie haben einen natürlichen Respekt vor mir." --- "Das ist kein Respekt. Das ist das Stockholm-Syndrom." (S. 466 f.)

 

Ein überzeugender dritter Band einer in England bereits sechsbändigen Reihe um Jackson Lamb - spannend, actionreich, unterhaltsam und mit überraschenden Wendungen. Macht in jedem Fall neugierig auf weitere Folgen!

   
© Parden