Rezension

Schade

Die Leben der Elena Silber - Alexander Osang

Die Leben der Elena Silber
von Alexander Osang

Die Flüsse im Leben der Elena Silber werden immer kleiner; das Buch verplätschert.

Es beginnt dramatisch: Der Vater der zweijährigen Jelena protestiert gegen die leeren Versprechungen des zaristischen Regimes und wird zusammengeschlagen und gepfählt. Jelena muss mit ihrer Mutter und ihrem älteren Bruder fliehen. Als sie Jahre später wieder zurückkehren kann, haben sich die Machtverhältnisse verändert und ihr Vater gilt nun als Märtyrer der Revolution. Jelena arbeitet als Sekretärin und erhält den Auftrag, den deutschen Textilingenieur Robert Silber zu betreuen. Sie heiratet ihn, bekommt fünf Töchter mit ihm und zieht häufig mit ihm um: Nach Moskau, nach Leningrad, dann nach Deutschland. Den zweiten Weltkrieg erlebt sie in Sorau, Schlesien, wo ihre Schwiegereltern eine Fabrik haben. Nach dem Krieg verschwindet ihr Mann und sie muss ihre vier noch lebenden Töchter durchbringen...

Ihr Enkel Konstantin ist ein Filmemacher auf der Suche nach "seinem" Thema. Er beginnt, sich mit seiner Familiengeschichte auseinanderzusetzen: Sind die kolportierten Geschichten wahr oder hat sich jeder seine Erinnerungen so zurechtgelegt, dass er mit ihnen leben kann? Konstantin versucht, die Lebensstationen seiner seit zwanzig Jahren verstorbenen Großmutter nachzuvollziehen.

Der Autor Alexander Osang verarbeitet in diesem dicken Roman anscheinend viel von seiner Familiengeschichte. Stoff ist reichlich vorhanden, es gibt viele ungewöhnliche Begebenheiten und Charaktere. Dennoch hat mich das Buch nicht packen können. Konstantin wirkt halt- und ziellos, seine Suche kann mich nicht fesseln. Aber auch Jelena, die später Elena, dann Lena und als Großmutter Baba genannt wird, kommt mir nicht näher. Sie erlebt zwar viel, doch was das für sie bedeutet bleibt vage. Sie wirkt weitgehend gefühllos; so hat sie z.B. kein Problem damit, ihre Töchter wegzugeben. Selbst das doch so vielseitige Weltgeschehen bleibt für mich schwammig in seinen Auswirkungen auf die Protagonisten. Am meisten berührt haben mich die Episoden um Konstantins Vater, der in seiner Demenz versinkt.

Alles in allem: Ein tolles Garn, doch der Stoff, der daraus gewoben wird, ist löchrig und sein Muster nicht ansprechend. Ich hatte mir mehr von diesem Buch versprochen. Manche Leser sind überzeugt und begeistert; ich leider nicht. Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis 2019.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 06. Dezember 2019 um 10:30

Ach, ich bin so begeistert! Endlich mal ein Roman, der ohne Pathos auskommt. "Verplätschert" - ja, wenn man einen Spannungsroman erwartet. Aber das ist er eben nicht. Gott sei Dank.