Rezension

Schicksal oder glückliche Fügung?

Glückskind - Steven Uhly

Glückskind
von Steven Uhly

Bewertet mit 5 Sternen

Seit ihn seine Familie verlassen hatte, ging es mit Hans nur noch bergab. Arbeitslos, ungepflegt und ohne Perspektive verbringt er die Tage untätig in seiner verdreckten Wohnung. Als er sich eines Tages dazu aufrafft, endlich seinen Unrat raus zu bringen, findet er in der Mülltonne ein Baby. Er nimmt es mit in seine Wohnung und beschließt, das winzige Mädchen zu behalten und für es zu sorgen. Keine leichte Aufgabe für einen Mann Mitte fünfzig. Unerwartete Hilfe erhält er von seinen Flurnachbarn, einem persischen Ehepaar, mit denen er bisher keinen Kontakt hatte, und vom Inhaber des Kiosks gegenüber. Die vier Menschen werden Freunde, sind nun eine verschworene Gemeinschaft, bis sie erfahren, dass die Mutter des Kindes wegen Mordes angeklagt wird. Was tun? Jetzt stecken sie in einer moralischen Zwangslage – die kleine Felizia, wie sie sie in der Zwischenzeit nennen, behalten - oder einer Mutter ausliefern, die sie los werden wollte?

Der Autor Steven Uhly wurde 1964 in Köln geboren, ist deutsch-bengalischer Abstammung und durch seinen Stiefvater auch in der spanischen Kultur verwurzelt. Er studierte Literatur und übersetzt Lyrik und Prosa aus dem Spanischen, Portugiesischen und Englischen. Nach „Mein Leben in Aspik“ (2010) und „Adams Fuge“ (2011) ist „Glückskind“ sein dritter Roman, von dem es auch eine Fortsetzung „Marie“ (2016) gibt. Steven Uhly lebt mit seiner Familie in München.

Unerwünschte Kinder, überforderte Mütter, ein Baby im Müll abgelegt - ein zeitgemäßes Thema, das der Autor hier fast märchenhaft umgesetzt hat. Sehr gut beschreibt er die Gedanken und Argumente der beteiligten Personen, so dass der Leser ihre Gefühle erfassen und sich teilweise auch mit ihren Handlungen identifizieren kann. Ein alternder Mann der plötzlich Hoffnung für seine Zukunft sieht, ein Ehepaar das nun eine Chance hat  sich zu integrieren und ein Kioskbetreiber der Freundschaft und Anschluss sucht, sie alle verändern sich durch Felizia und werden auf wunderbare Weise eine Zeitlang zu glücklichen Menschen. Doch darf man ein Kind, das man im Müll gefunden hat, behalten? Muss man sich melden, weil die Mutter unter Mordanklage steht? Was tun?

Der Schreibstil Uhlys ist sehr authentisch, klar, knapp und schnörkellos, ganz dem Geschehen angepasst. Ohne moralischen Fingerzeig lässt er seine Figuren agieren, beschreibt alltägliche Situationen und lässt ihnen den nötigen Freiraum, um ihre Entscheidungen zu treffen. Er wertet nicht zwischen gut und schlecht, sondern überlässt dem Leser die Beurteilung. Die Geschichte bezaubert ohne Rührseligkeit und ist trotz glücklichem Ausgang zu keiner Zeit kitschig.

Fazit: Ein berührendes, absolut lesenswertes Märchen für Erwachsene, modern, zeitgemäß – könnte sich so oder ähnlich jederzeit ereignen.