Rezension

Schicksale auf den Kanalinseln

Das Liliencottage - Ricarda Martin

Das Liliencottage
von Ricarda Martin

Bewertet mit 5 Sternen

„...Du kannst anscheinend alles essen ohne zuzunehmen, ich jedoch lese nur das Fettgedruckte in der Zeitung und habe sofort ein paar Pfund mehr auf der Hüfte...“

 

Die Geschichte beginnt im Jahre 1950 auf der Kanalinsel Jersey. Aus dem dortigen Waisenhaus wird der vierjährige Thomas von einem Ehepaar mitgenommen.

Dann wechselt das Geschehen in die Gegenwart. Die 35jährige Sharon ist Model. Langsam aber greift eine Jüngere nach ihrem Job. Also tut sie alles, um jung und attraktiv auszusehen. Ihr Freund Ben, der ebenfalls in der Modebranche arbeitet, macht ihr einen Heiratsantrag. Doch Sharon will keine Kinder. Daran zerbricht die Beziehung.

Wenige Tage später bricht Sharon auf dem Catwalk zusammen. Sie nimmt eine Auszeit und fährt auf die Kanalinsel Guernsey. Dort zieht ins Liliencotttage bei Theodora ein.

Die Autorin hat eine abwechslungsreiche und spannende Geschichte geschrieben, die in zwei Zeitebenen erzählt wird. Zum einen darf ich als Leser Sharons jetziges Leben auf der Insel verfolgen, zum anderen berichtet Theodora über ihre Kindheit und Jugend.

Die Personen werden gut charakterisiert. Sharons Mutter war eine begnadete Künstlerin. Den Eltern aber fehlte die Zeit für die Tochter. Mit 6 Jahren wird Theodora zu Sharons Ersatzgroßmutter. Während Sharons Modelkarriere allerdings war der Kontakt abgebrochen.

Theodora ist weit über 80 Jahre. Doch sie führt immer noch ihre Pension. Außerdem hat sie sich einen kritischen Blick auf die Welt und ihre Mitmenschen bewahrt. Deshalb erkennt sie sofort Sharons Probleme, geht aber sehr behutsam darauf ein.

Sharon ist unterernährt. Ihre Einstellung gibt das obige Zitat wieder. Sie weiß nicht, wie es mit ihr weitergehen soll, denn außer Modeln hat sie nichts gelernt.

Der Schriftstil des Buches lässt sich angenehm lesen. Sehr detailliert wird die Landschaft und die Sehenswürdigkeiten auf der Insel beschrieben. Dafür nutzt die Autorin geschickt Sharons Spaziergänge über die Insel. Dabei erfahre ich auch das eine oder andere über Sharons Vergangenheit auf der Insel. Sharons Emotionen werden dabei gut wiedergegeben. Angst vor der Zukunft, leichte Melancholie, aber auch Zeiten der Ruhe und Ausgeglichenheit wechseln sich ab.

In Theodoras Geschichte stehen die Jahre der deutschen Besatzung im Mittelpunkt. Hier dominieren Angst und Vorsicht. Auf der Insel selbst gab es keine Kämpfe, aber trotzdem Tote. Theodora hat ihr Leben einer engagierten Krankenschwester zu verdanken. Schon in jungen Jahren auf sich gestellt, macht Theodora aus jeder Situation das Beste. Ihr Mitgefühl und ihre Fähigkeit, sich neuen Situationen anzupassen, zeichnen sie aus. Trotzdem wird sie mehrmals gerade die Menschen verlieren, die ihr am Herzen liegen. Doch bis ins hohe Alter hat sie sich ihren Humor bewahrt, wie das folgende Zitat zeigt:

 

„...Wenn der Tod in den nächsten Tagen anklopft, werde ich ihm sagen,dass er erst noch einen Tee trinken und später wiederkommen soll...“

 

Mit Hauptmann Konrad Huber hat die Autorin einen schwer durchschaubaren Charakter geschafft. Einerseits fällt er grausame Entscheidungen, andererseits gibt er Theodora ein Heim und eine Aufgabe.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Theodoras Lebensgeschichte hat mich tief beeindruckt. Gleichzeitig verändern die Tage auf der Insel auch Sharon. Sie lernt erkennen, was wirklich wichtig ist und zieht die richtigen Schlussfolgerungen. Mit einem Zitat aus dem Buch, das von Victor Hugo stammt, möchte ich meine Rezension abschließen:

 

„...Die Kanalinseln sind Stücke von Frankreich, die ins Meer gefallen sind und von England aufgesammelt wurden...“