Rezension

Schleppender Einstieg, furioses Ende

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry - Rachel Joyce

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
von Rachel Joyce

Dieses ach so gehypte Buch hat es nun auch endlich auf meinen Blog geschafft. Und das, obwohl ich mich bereits seit Monaten damit beschäftige – nur leider nicht sehr sinnvoll.

Von vorne: Ich habe „Harold Fry“ als Hörbuch geschenkt bekommen. Toll, dachte ich, Hörbücher liebe ich ja, also habe ich angefangen zu hören. Und bin dabei eingeschlafen. Und habe am nächsten Abend weitergehört. Und bin wieder nach den ersten Sätzen eingeschlafen.

Dabei liegt das gar nicht am Sprecher Heikko Deutschmann, der eine wunderschöne Stimme hat, sondern einfach daran, dass die Geschichte und ich nicht richtig warm miteinander wurden.

Einige Wochen später habe ich es nochmal probiert, mich Harold anzunähern, seine Gedankengänge zu verstehen. Und bin wieder nach ca. 100 Seiten gescheitert, weil einfach kein Wille da war, es weiterzuhören, das Ende der Geschichte zu kennen. So ganz nach dem Motto „ja, was liegt da denn für ein interessanter Fussel?!“ konnte ich mich beim Zuhören einfach nicht konzentrieren.

Nun habe ich im Bücherregal meiner Mutter das Buch in Buchform entdeckt. Und sie hat mir minutenlang vorgeschwärmt, WIE toll es doch sei und WIE überraschend die Wendungen am Ende noch wären.

Also habe ich es nochmal versucht. Und durchgezogen. An drei Tagen (der 2. Tag war ein Kampf, da war wieder die magische Grenze von 100 Seiten erreicht) habe ich Harold Frys unwahrscheinliche Pilgerreise miterlebt. Und am Ende haben wir uns sogar versöhnt.

Das Buch baut auf einer einfachen, aber unglaublich tollen Idee auf: Harold Fry, ein ziemlich spießbürgerlich lebender älterer Herr mit eingeschlafener Ehe und Einfamilienhaus bekommt einen Brief von Queeny Hennessy, einer alten Bekannten, die an Krebs erkrankt ist und ihm schreibt, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Harold schreibt ihr eine Antwortkarte und läuft los zum Briefkasten, um sie einzuwerfen. Aber er läuft am Briefkasten vorbei. Und läuft und läuft und läuft. Bis Berwick upon Tweed, wo Queeny lebt. Über 1000 Kilometer. Weil er weiß: Wenn er läuft, wird Queeny leben. Und Harold läuft in seinen alten Segelschuhen, ohne Handy oder Landkarte und trifft Leute, die sein Leben verändern und deren Leben er verändert. Und denkt dabei über sein Leben nach.

Wie gesagt: Bis Seite 100 habe ich mich gequält, irgendwie kommt die Geschichte zwar in Gang, aber sie trottet ebenso langsam wie Harold und mir erschloss sich der Sinn des Ganzen nur so halb. Bis Seite 200 ging es bergauf und danach war ich richtig gefesselt. Am Ende, als die ganze Geschichte mit seinem Sohn aufgeklärt wird, der zwar immer präsent, aber nie „da“ ist, hatte ich dann endlich das Gefühl, dass ich Harold verstehe.

Meine Mutter sagt, dass ich das Buch vielleicht nicht verstehen könnte, weil ich noch nicht alt genug bin. Sie könne es sich gut vorstellen, wie er läuft und über sein Leben und seine Fehler nachdenkt und es hätte sie fast in den Füßen gejuckt, auch loszulaufen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie recht hat. Für mich war die ganze Ausgangssituation recht absurd.

Aber irgendwie hat mir das Buch zum Ende doch so gut gefallen, dass mir meine Meinung vom Anfang schon wieder leid tut. Verrückt, oder?

Aber am Ende hatte ich wirklich das Gefühl, den Sinn verstanden zu haben und in Harolds Gedanken eintauchen zu können. Vorher erschien er mir sehr fremd.

Eine sehr ambivalente Einschätzung also. Ich würde beinahe sagen: Gar keine Einschätzung, denn die muss jeder für sich selbst treffen, ich kann mir keine klare Meinung zu diesem Buch bilden. Ich bin allerdings froh, es zu Ende gelesen zu haben, denn am Ende klärt sich wirklich alles auf, Harolds ganzes Leben, seine Reise, seine Ehe, einfach alles. Das kann ich also jedem Leser auf jeden Fall mitgeben: Lest es auf jeden Fall zu Ende. Macht nicht den gleichen Fehler wie ich, es nach 100 Seiten abzubrechen. Alles hat einen Sinn.