Rezension

Schmerzhaft, tiefgreifend, absolut lesenswert!

Mamsi und ich - C. Bernd Sucher

Mamsi und ich
von C. Bernd Sucher

Bewertet mit 5 Sternen

Meine Meinung
Ein unfassbar offenes, schweres und unsäglich trauriges Buch, denn es handelt von einer Frau und Mutter, der Unbeschreibliches während des 2. Weltkrieges widerfahren ist, von einem Vater, der es ein Leben lang nicht schaffte Zugang zu seiner Frau zu finden, von einem Sohn, der psychisch und physisch unter seinen Eltern gelitten hatte und durch die Zwänge der Mutter nie einen eigenständigen Lebensweg gehen konnte.

Bernd C. Sucher erzählt von der Kindheit seiner Mutter, der Deportation nach Auschwitz und was ihr dort passiert war. Er schreibt aber auch über sein Leben. Ein Leben, das sicherlich anders gewesen wäre, hätten das Naziregime und der Krieg die Jüdin Margot Artmann nicht gebrochen und ihr ihre Zukunft genommen. Eine Zukunft, die sie dann um jeden Preis über ihren Sohn Bernd erreichen wollte.

Ich habe mir sehr schwer getan mit Margot Sucher, geb. Artmann. Glücklicherweise habe ich keinen Krieg erlebt, bin jedoch Mutter und es fällt mir sehr schwer Sympathie für sie zu finden. Ihre Nüchternheit, Kühle als auch Distanz zum Sohn erschreckten mich von Seite zu Seite immer mehr. Der Autor war ein Leben lang auf der Suche nach Mutters Liebe, Zuneigung und Anerkennung. Und es erstaunt und überrascht mich sehr, wie aus so einem psychisch wie auch physisch misshandelten Kind dennoch ein so freier und intelligenter Geist und Mensch Bernd C. Sucher werden konnte!

“Diese Kümmerer, die weiblichen und die männlichen, waren für mich ein Ersatz. Sie gaben mir das Gefühl, um meiner selbst willen gemocht oder, sogar das, geliebt zu werden. Sie wollten wirklich nur mich! Sie gaben mir die Nähe und den Schutz, den meine Mutter mir verwehrte.” (S. 143)

“War ich immer ein kleiner Erwachsener? Missachtet und geschlagen. Hatte ich je ein gesundes Selbstwertgefühl besessen? Hatte ich je meine eigenen Gefühle gelebt oder nicht immer die Gefühle vorgetäuscht, die meine Mutter an mir wahrnehmen wollte? Was meine Mutter als sehr junge Frau nicht hatte bekommen können, wollte sie nun bei mir finden.” (S. 170)

Bernd C. Sucher legt sein Leben offen. Durch eigene Tagebucheinträge und Briefe der Mutter, die sie ihm hinterlassen hat aber auch durch die Briefe, die sich Mutter und Sohn geschrieben haben, werden wir Zeugen einer ungesunden Mutter-Sohn-Beziehung, die den Autor bis ins hohe Alter verfolgt und aus der er sich durch dieses Buch versucht zu befreien.

Der Autor ist ein rastloser Getriebener, der an jedem neuen Höhepunkt seiner Karriere mit der Unsicherheit zu kämpfen hatte, ob er das Erreichte genießen darf. Ich hätte ihm gewünscht, dass er an irgendeinem Punkt seiner Erfolge endlich die verdiente Anerkennung der Mutter erhalten hätte.

Sehr froh bin ich, dass Bernd C. Sucher sich wenigstens noch vor dem Tode seines Vaters mit ihm aussöhnen konnte. Seine Beichte und die Bitte um Vergebung für all die körperlichen Züchtigungen waren aus mir verständlichen Gründen sehr wichtig für den Autor.

Fazit
Ich ziehe meinen Hut vor dieser öffentlichen Aufarbeitung seines Lebens! Emotional und schonungslos gibt er Familien- und persönliche Geheimnisse preis und lässt die Leser*innen am Befreiungsprozess teilnehmen.

Eine der schrecklichsten und verstörendsten Autobiografien, die ich gelesen habe. Schmerzhaft, tiefgreifend, absolut lesenswert!