Rezension

Schneller, gefährlicher, tödlicher?

Mr. Mercedes
von Stephen King

Bewertet mit 4 Sternen

Das Buch wird mit den Schlagworten “Schneller, gefährlicher, tödlicher – Mr. Mercedes” beworben, was in meinen Augen aber nur begrenzt auf den Inhalt des Buches passt. So beginnt das Buch, ja, aber was danach passiert ist anders, als man es anhand dieser Suggestion vermuten würde.

Die Rezession ist 2009 in den USA vollkommen angekommen. In einer recht kalten Aprilnacht stellt sich Augie Odenkirk wie so viele andere Jobsuchende an eine Schlange vor einer Berufsmesse an, bei der es garantiert 1000 Jobs zu vermitteln gibt – jedenfalls nach Aussage des Bürgermeisters. Wer zuerst kommt malt auch zuerst und so füllt sich bereits in der Dunkelheit der Eingangsbereich. Augie kommt ins Gespräch mit einer Mutter, die ihren Säugling dabei hat. Immer mehr Jobsuchende kommen an. Gegen Morgen fährt ein grauer Mercedes S600 vor, man vermutet den Bürgermeister. Doch als der Mercedes plötzlich Gas gibt und in die Menge rast, ist es für viele bereits zu spät zur Flucht.

Ein Jahr später bekommt der mittlerweile pensionierte Detective Bill Hodges einen Brief, unterschrieben von Mr. Mercedes. Dieser Name wurde ihm nach dem Massenmord von der Presse gegeben und er gefällt ihm ganz gut. Hodges war damals auf den Mercedeskillerfall angesetzt, konnte ihn jedoch nicht lösen. Mit dem erhaltenen Brief beginnt der Killer ein perfides Spiel mit Hodges.

Mit “Mr. Mercedes” hat Stephen King ein Buch herausgebracht, dass ich tatsächlich als untypisch King bezeichnen würde. Das liegt nicht daran, dass es hier absolut keine übernatürlichen Inhalte oder den gewohnten zwischenmenschlichen Horror gibt. King hat auch außerhalb dieser für ihn oft als typisch bezeichneten Bücher einige grandiose Werke geschrieben. Für mich schreibt King nie an vielen einzelnen Geschichten, ich empfinde sie immer als Teil einer großen, epischen Story, die eben immens verschachtelt zusammenhängt. Bei seinem aktuellen Werk geht mir dies jedoch nicht so. Bei “Mr. Mercedes” gibt es auch wieder Hinweise auf andere seiner Werke, diese sind jedoch nicht subtil eingewoben wie sonst, sondern direkt. Er spricht schlichtweg von zwei Verfilmungen seiner Werke und grenzt für mich so und auch durch die restliche Art des Buches die gewohnte geheimnisvoll-gruselige Kingwelt aus. Daher untypisch King, weil das für mich als Stammleser des Autors einfach sehr ungewohnt war.

Gerade der ältere Stephen King ist in seiner Charakterbeschreibung und -entwicklung für mich kaum noch zu verbessern. Kaum jemand sonst hat ein derart detailliertes Auge für Menschen und ihre Eigenarten. Es ist wirklich ein Hochgenuss seine Charaktere vor dem inneren Auge aufleben zu sehen, sich an ihren Eigenarten und Menschlichkeiten zu erfreuen.
Der pensionierte Bill Hodges, der über vergangene Fälle nachgrübelt und dabei in der Öffentlichkeit gerne als Demenzkrank und verwirrt betrachtet wird, weil er sich eben für geraume Zeit in seine Gedankenwelt und Überlegungen zurückzieht.
Jerome, ein Jugendlicher aus der Nachbarschaft Hodges, der aber ebenfalls freundschaftlich mit ihm verbunden ist. Einerseits spielt er mit dem Bro-Klischee, andererseits ist er hochintelligent.
Auch Augie in der Warteschlange der Jobsuchenden ist sehr realistisch beschrieben. Sorgen, Sehnsüchte und Nöte begleiten ihn und seine nicht immer so netten Gedanken.
Jeder Charakter in diesem Buch ist derart ausgearbeitet. Man vergisst fast, dass man es mit fiktiven Figuren zu tun hat, so menschlich und echt erscheinen sie einem.
Und dann haben wir noch Brady Hartsfield, Mr. Mercedes, unseren Antagonisten. Und keine Bange, ich spoiler an dieser Stelle nicht, denn dies bekommt man als Leser bereits sehr früh zu wissen, da die Geschichte sowohl aus Hodges Sicht, als auch als Bradys Sicht beschrieben wird. Mit Brady knüpft King an eine Bösewichtliga an, der auch Randall Flagg und Leland Gaunt angehören. Ein Psychopath, wie er im Buche steht. Hochintelligent und Alles und Jeden hassend tauchen wir auch in seine verkorkste Welt ab. Gerade zu Beginn des Buches war mir persönlich das aber etwas zu viel. Brady wurde als zu böse, zu dunkel dargestellt. Ich finde das menschliche Böse meistens weitaus erschreckender. Zwar ändert sich dies im Verlauf der Geschichte etwas, aber es konnte nie ganz aus meinen Gedanken verschwinden, was aber auch eine persönliche Geschmackssache ist.

Stephen King hat sich mit diesem Werk an einer Richtung versucht, die ich fast mehr als Krimi denn als Thriller bezeichnen würde. Der Jäger und sein Gejagter, wobei sowohl Brady als auch Hodges ersteres für sich beanspruchen wollen. In Kleinstarbeit versucht der Rentnercop dem Killer auf die Spur zu kommen. Seine einzigen Hinweise sind der Brief, den er bekommen hat und die Website “Under Debbies Blue Umbrella”, über die beide anonym miteinander kommunizieren und sich provozieren können.
Auch wenn ich hier die Waagschale eher in Richtung Krimi legen würde, bedeutet dies nicht, dass King Grenzen kennt. Bereits im ersten Kapitel des Buches überschreitet er diese und lässt dies auch im weiteren Verlauf nicht aus. Er mutet seinem Leser wirklich schreckliche Dinge zu, die es dann zu verarbeiten gibt, so dass mein Herz nicht nur an einer Stelle des Buches immens schnell schlug, weil ich so mitgefiebert habe.
Auch zum Finale hin hört er hiermit nicht auf und bündelt die losen Erzählfäden in einen tollen Showdown, der für den Protagonisten aber anders als erwartet abläuft.
Trotzdem ist dieses Genre nicht wirklich meins, auch wenn mir das Buch gut gefallen hat.

King spielt während des Buches immer wieder auf kriminalistische Schriftsteller und TV-Serien an, was man auch den Kapiteln teilweise anmerkt. Besonders auffällig zum Ende hin war das für mich, als es einen Abschnitt gab, in welchem alle Erzählstränge gleichzeitig abgelaufen sind und man kaum noch zum Luftholen kam.
Enttäuscht war ich jedoch von der allerletzten Seite. “Mr. Mercedes” stellt eine Auftakt für eine Trilogie dar. Kann man in meinen Augen machen, muss man nun aber nicht. Das Buch steht auch gut für sich alleine. Um aber einen Cliffhanger zu erschaffen bedient sich King hier an einem Uraltklischee. Das kann er definitiv anders, das kann er besser und das braucht er auch nicht. Warum er also auf so eine simple und inspirationslose Art und Weise das Buch ins nächste entlässt ist mir daher schleierhaft und war für mich sehr unbefriedigend.

Zudem störte mich noch etwas anderes. Im gesamten Buch wird gehäuft das Thema Gewicht und Übergewicht thematisiert, obwohl dies für die Geschichte nicht wirklich von Bedeutung ist. Dies empfand ich als gerade zwanghaft oft hineingeschrieben. Vielleicht ist dieses Thema bei King selbst derzeit ein Thema im Leben, ich empfand dies jedoch einfach irgendwann als nervend.

Ich kann verstehen, warum so mancher Kingfan seine Schwierigkeiten mit diesem Buch hat. “Mr. Mercedes” ist untypisch und doch auch typisch King. Den Leser erwartet ein epischer, charakterstarker und spannender Krimithriller, der mit der menschlichen Psyche, dem Älterwerden und einem gestörten Massenmörder der Extraklasse daherkommt. Wer sowas sucht, der sollte dieses Buch unbedingt lesen, denn es ist sehr gut.
Aus Sicht eines Kingfans gibt es jedoch einige Dinge, die einen einfach etwas gestört haben beim Lesen, deswegen gibt es von mir nicht die volle Punktzahl.