Rezension

Schöne philosophische Gedankengänge auf einer viel zu kurzen Reise

Hippie - Paulo Coelho

Hippie
von Paulo Coelho

Bewertet mit 3 Sternen

Nach einem kleinen Einstieg und Hintergrundinformationen zur generellen Nachrichtenverbreitung mittels der Unsichtbaren Zeitung, der Entstehung von Hippie-Trails, dem obligatorischen Reiseführer "Europe on Five Dollars a Day", den Reiseschwierigkeiten und die sich entwickelnde Dominanz der Hippie-Frauen, beginnt die Geschichte mit Karla. Sie kündigte ihren Job, um nun auf dem Dam in Amsterdam auf eine männliche Reisebegleitung nach Nepal im legendären „Magic Bus“ zu warten. Zeitgleich steht Paulo kurz vor der niederländischen Grenze, der in einem Rückblick von einer bereits gemachten Erfahrung auf einem Hippie-Trail berichtet. Beide begegnen sich schließlich in Amsterdam und sammeln auf dieser Reise ganz eigene Erfahrungen.

Mit der unabhängigen und emanzipierten Karla, die mir anfangs ganz sympathisch war, wurde ich im weiteren Verlauf der Geschichte nicht warm. Sie war mir zu herrisch, egoistisch und anstrengend. Erst als sich die Gründe für ihr Verhalten gegen Ende aufzeigten und sie sich mit sich selber versöhnte, konnte ich sie etwas besser verstehen. Umso positiver fand ich, dass Paulo der erste war, der nicht nach ihrer Pfeife tanzte. Insgesamt haben mir der Charakter bzw. ja der Autor und seine oft philosophischen Gedankengänge zugesagt. Diese Textstellen waren zwar stellenweise anstrengend und erforderten wirkliche Konzentration beim Lesen, aber sie waren zugleich auch so interessant, dass sie zum Nachdenken über das Gesagte anregten. Ebenso faszinierend war es zu erleben, wie Coelho war und lebte und welche Erfahrungen er gemacht hat, die den heute bekannten Schriftsteller formten. Zu diesen geschilderten Erfahrungen zählen aber nicht nur gute Erlebnisse. Die schreckliche Entführung und gewalttätige Vernehmung Paulos und seiner damaligen Freundin in Brasilien waren schockierend und zeigten die weit verbreiteten Meinungen über die Hippie-Kultur auf, die die "anders aussehenden" jungen Menschen schnell in Verbindung mit der Guerilla Bewegung um Che Guevara brachten. Bis sich der Verdacht als unbegründet herausstellte, durchlebte Coelho seine ganz eigene Hölle. Einer weiteren Hölle widerstand der Autor in den sog. Houses of the rising sun, deren genaue Bedeutung mir bis dato nicht bekannt war.
Im Buch sollte jedoch der Reiseaspekt im Vordergrund stehen. So ziert eine schöne Zeichnung der Reiseroute von Amsterdam bis Nepal mit dem berühmten Magic Bus die Innenseite des Buchdeckels, die von der heutigen Ehefrau Coelhos stammt. Die Stationen der Reise waren schön beschrieben, waren stets von einem Hauch Spiritualität umgeben und vermittelten vereinzelt einen lebendigen Eindruck, insbesondere in Istanbul war es so, als befände man sich selbst auf dem von Gewürzen und Menschenmengen umhüllten Basar, oder nehme mit Blick auf die Lichter jener Stadt ein wohlschmeckendes Gericht auf der Seite Asiens zu sich, nachdem man die Bosporus Brücke überquert hat.
Doch leider verabschiedet sich der Magic Bus von uns in Istanbul und fährt ohne uns weiter. Da Paulo beschließt in Instanbul in die spirituelle Schule der Derwische zu gehen und seine Reise nicht mehr fortsetzt, erfahren wir wider Erwarten leider nichts von den weiteren Orten der Reise Teheran, Kabul, Delhi und schließlich Nepal. Dies hat mich etwas enttäuscht, da eingangs so viel von dem großen Ziel Nepal geredet wurde und auch die Zeichnung eine solch lange Reise verspricht. Während es lange Zeit in Anspruch nahm, bis die Reise überhaupt stattfand, fand sie umso schneller ein jähes Ende. Paulo findet zwar einige Antworten, aber das Ende seiner Reise gestaltete sich leider als abrupt und nicht ganz geschlossen. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Mitreisenden kaum Interesse an den besuchten Ländern zeigten, obwohl ein allgemeiner Widerstand gegen den Massentourismus verbreitet war.
Angenehm überrascht hat mich dagegen die Menge interessanter, historischer Informationen, die man in Bezug auf die Zeit erfährt, die internationale Politik und damit verbundene Unruhen, Gesetze, die den Konsum von Drogen unter Strafe stellen und vorherrschende Meinungen über das bohemische Leben, die diesem einen gar nicht so bunten, friedvollen, harmonischen und freien Beigeschmack verliehen, wie wir es heute mit dem Hippie-Leben assoziieren.
Hippie vermittelt einen tiefen, vielfältigen sowie spirituellen Eindruck in die Zeit der 70er und mir gefallen viele Gedanken Coelhos sehr:

"Dann ging er hinaus und schloss die Tür, obwohl er wusste dass für jene, die versuchen eine Schwelle zu übertreten, die Türen immer offen sind. Man muss nur am Türknauf drehen."

"Der schlimmste Mord ist der, der an unserer Lebensfreude begangen wird."

Doch ich war nicht Teil der Reisegruppe, blieb eher Außenstehende, obwohl in der gewählten 3. Person ein Blick in das Innere aller Figuren gewährt wurde und dass sich die Türen des Magic Bus nach einer recht kurzen Reisedauer schon wieder schlossen, führte nicht zu dem erhofften Gefühl, sich auf einem der berühmten Hippie Trails zu befinden. Es mag sein, dass das Gefühl dieser Zeit stärker bei Jahrgängen Coelhos transportiert wird.