Rezension

Schöne Sprache aber ganz zähe Geschichte

Was vom Tage übrig blieb - Kazuo Ishiguro

Was vom Tage übrig blieb
von Kazuo Ishiguro

Bewertet mit 3 Sternen

Kurzmeinung

Genre: Roman

Handlung: Die Handlung ist vielfältig. Zum einen geht es um den Butler Stevens, der sich voll und ganz seinem Beruf verschrieben hat. Diesen führt es voller Hingabe und absoluter Würde aus. Die Hierarchie wird nicht hinterfragt, genauso wenig die Vorgänge, die sich im Haus über viele Jahre abspielen. Große Politik wird gemacht und Geschichte geschrieben, doch Mr. Stevens erlaubt sich kein Urteil. Der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür und Politiker und Diplomaten aus aller Welt finden in England in diesem Herrenhaus zusammen, tauschen sich aus und debattieren. So ein Herrenhaus benötigt neben einem herausragenden Butler ebenso eine herausragende Hauswirtschafterin. Miss Kenton ist für diese Rolle ebenso geschaffen wie Mr. Stevens für seine. Zwischen den beiden gibt es eine Art Zuneigung, die jedoch nie über das förmliche Verhalten hinausgeht. Zu persönlich und zu privat mag Mr. Stevens nämlich überhaupt nicht.  

Charaktere: Zwei Protagonisten, die sich in nichts nachstehen. Mr. Stevens, der Butler, ist sehr gut porträtiert und sein charakterlicher roter Faden ist absolut durchgängig, ganz ohne Unterbrechungen. Er ist das Nonplusultra eines Butlers. Er dient mit ganzem Herzen, mit offenen Augen und verschlossenen Ohren. Denn es steht ihm nicht zu, sich eine Meinung über all die Gäste zu bilden, die im Herrenhaus ein- und ausgehen. Er besitzt eine kühle Distanz, die sogar so weit geht, dass er nicht in der Lage ist, seinem sterbendem Vater ein paar Minuten beizustehen. Er fühlt sich unwohl und nimmt seine Arbeit als Vorwand gehen zu müssen, da dies sein Vater, ebenso ein Butler vom alten Schlag, absolut verstehen kann und nicht dulden würde, wenn sein Sohn ein schlechtes Bild auf sich und den Berufsstand wirft. Miss Kenton erfüllt nur vordergründig die Anforderungen an ihren Berufsstand als Hauswirtschafterin. Sie erfüllt ihre Aufgabe mit Bravour, leistet sich aber immer wieder ein liebevolles Geplänkel mit Mr. Stevens. Vergeblich versucht sie ihm Emotionen zu entlocken und erkennt immer, wann er Zuspruch und ein gutes Wort braucht. Sie stärkte ihm den Rücken, nachdem sein Vater gestorben war. Diese beiden Figuren sind dem Autor hervorragend gelungen!

Spannung: Auf Spannung wartet man in diesem Roman vergeblich. Es kommt ein Interesse auf, wie das Aufeinandertreffen der beiden, nach so vielen Jahren, vonstatten gehen wird. Wird Mr. Stevens endlich etwas aus sich heraus gehen können und Miss Kenton gestehen, dass er sie all die Jahre vermisst hat? Wird sie mit ihm zurück ins Herrenhaus kommen und ihre alte Stelle wieder aufnehmen? Auf das Ende ist man somit wohl gespannt, doch diese Frage schwirrt dem Leser nicht permanent im Kopf herum.

Schreibstil: Keine Frage, Kazuo Ishiguro hat sprachlich gesehen mit diesem Roman etwas Besonderes geschaffen. Sehr ruhig schreitet das Geschehen voran. Und unter der hochgehobenen und -geborenen Gesellschaft entspannen sich Gespräche, die man nicht alltäglich nennen kann. Erfrischend waren für mich auch die Dialoge von Mr. Stevens und den Bürgern der Ortschaften, in denen er auf seiner Reise gewollt als auch ungewollt Halt macht. Hervorragend auch die innere Reise von Mr. Stevens. Wie man anhand von seinen Aussagen merkt, dass er angefangen hat sich mit sich und seiner Vergangenheit zu beschäftigen und analysiert, ob er manchmal nicht hätte anders handeln müssen.  

Ende: Ein Ende, das sich für mich so abgezeichnet hat. Deswegen aber nicht minder gut. Dem Autor ist es gelungen der Geschichte treu zu bleiben. Das gefällt mir sehr.

Hörbuch: Wunderbar gelesen und interpretiert von Gert Heidenreich, meinem liebsten Sprecher für Hörbücher. Keiner schafft es auf so ganz besondere Weise Figuren und ihre Charaktere so wiederzugeben, dass es vom Anfang bis zum Ende  ein reiner Hörgenuss ist.

Fazit: Ein wirklich gutes Hörbuch! Doch trotz all dem Positiven, das ich hier erwähne und hervorhebe, kann selbst die schöne Sprache und der herausragende Sprecher die Eintönigkeit und auch in großen Teile die Langeweile der Geschichte nicht verschwinden lassen. Hätte ich das Buch gelesen, hätte ich sicherlich immer mal wieder Seiten überblättert oder quergelesen. Mir persönlich reichte das leider nicht, um das gesamte Buch als herausragend bezeichnen zu können. Ich fühlte mich nicht mitgerissen. Mich konnte auch diese bittersüße und unerfüllte Liebe nicht so richtig rühren.