Rezension

Schöne Zeitreise in die Nachkriegszeit und die Kinowelt in Hamburg

Das Kino am Jungfernstieg - Micaela Jary

Das Kino am Jungfernstieg
von Micaela Jary

Bewertet mit 4 Sternen

Deutschland im Jahr 1946, der 2. Weltkrieg ist vorbei und Deutschland steht unter dem Einfluss der Besatzungsmächte.
In der britischen Zone Berlins lebt Lilli Paal, die Cutterin beim Film ist und sich als solche auch bereits einen Namen gemacht hat.
Als ihre Mutter schwer erkrankt, sucht Lilli einen Weg in ihre Heimatstadt Hamburg reisen zu können, um ihrer Mutter beizustehen.
Der britische Offizier John Fontaine, der bei der für Filme zuständigen Stelle arbeitet, bietet ihr die Möglichkeit, getarnt als seine Sekretärin, mit ihm nach Hamburg zu reisen. Dafür sagt Lilli ihm ihre Hilfe bei der Suche nach verstecktem Filmmaterial zu, denn sie weiß zufällig, wo der letzte skandalumwitterte Film der berühmten Schauspielerin Thea von Middendorff, bei dessen Dreh Theas Mann ums Leben kam, versteckt sein soll.
In Hamburg findet Lilli schlimme Verhältnisse vor. Die Innenstadt ist zerbombt, es herrscht Armut und ihre Mutter ist offenbar ziemlich verwahrlost, denn niemand kümmert sich richtig um sie. Lillis Halbschwester Hilde hat die Pflege der Mutter auf ihre noch junge Tochter übertragen und ansonsten nur sich selbst und ihr Ansehen in der Gesellschaft im Kopf.
Und so vegetiert die Mutter Sophie nur noch vor sich hin, bis Lilli sich um sie kümmert. Aber Halbschwester Hilde spekuliert auf das baldige Ableben der Mutter, denn der gehört das Lichtspielhaus der Familie. Hilde und ihr Mann wollen es schließen und einen Tanzsaal daraus machen.
Das kann Lilli unter keinen Umständen zulassen …

Dieser Roman ist der Auftakt einer Trilogie um das Lichtspielhaus der Familie Wartenberg am Jungfernstieg in Hamburg.
Micaela Jary zeigt in ihrem Werk bildhaft das zerbombte Berlin und Hamburg in der Nachkriegszeit und beschreibt eindrucksvoll die Sorgen und Nöte der Menschen, die mit Lebensmittelknappheit und fehlendem Heizmaterial besonders schlimm im Winter 1946/47 kämpfen müssen.
Aber sie zeigt auch, wie sich die Filmwelt langsam wieder aufbaut, denn die Filmemacher möchten den sorgengeplagten Menschen wieder eine schöne Ablenkung bieten. Die Liebe zum Kino und Film wird ganz besonders deutlich in der Figur der Lilli und der Familie Wartenberg.
Wie die Autorin in ihrem Nachwort schreibt, ist dies die Welt ihrer Kindheit, denn ihr Vater, der Filmkomponist Michael Jary war an dem Wiederaufbau der deutschen Filmwirtschaft maßgeblich beteiligt.
Und so erleben wir hier praktisch zwei Handlungen, den Wiederaufbau des zerstörten Hamburgs und der Filmindustrie.
Beides hat mich gleichermaßen gefesselt, denn die Autorin kann beide Themen sehr gut und interessant vermitteln.
Lilli als Protagonistin ist authentisch und sympathisch, den sie versucht wirklich alles, um ihrer Mutter zu helfen und kommt auch ihren Verpflichtungen gegenüber dem britischen Filmoffizier John Fontaine nach. Es war ein bisschen zu erahnen, dass sich die beiden näher kommen würden. Doch Lilli ist verheiratet und ihr Mann noch in Kriegsgefangenschaft.
Lillis Halbschwester samt Ehemann bilden hier die „Gegenspieler“ und machen es dem Leser leicht, sie nicht zu mögen.
Herzerwärmend war deren Tochter Gesa, die ihre Oma liebt und im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles für sie tut.

Die Geschichte verläuft anfangs relativ ruhig und unspektakulär wobei das Geschehen durchaus zu fesseln weiß.
Als heraus kommt, dass der Film, nachdem Lilli und John suchen, skandalumwittert ist, kommt Spannung auf, denn der Fund könnte so einiges ans Tageslicht bringen.
Man könnte fast sagen, dass dieser letzte Teil der Geschichte Krimi-Elemente enthält.

Insgesamt ist der Roman gute und vor allem auch interessante Unterhaltung und bietet dem Leser die Möglichkeit, das Geschehen wie ein Zeitzeuge mitzuerleben.
Das Ende lässt einiges offen, wie man es bei einem Auftakt zu einer Trilogie erwarten kann.
Mir hat diese Zeitreise ins Hamburg der Nachkriegszeit gefallen und ich freue mich auf die weiteren Teile!

Fazit: 4 von 5 Sternen
 

 

© Fanti2412