Rezension

Schon wieder Zweiter Weltkrieg? Ja, aber!

Niemand weiß, dass du hier bist - Nicoletta Giampietro

Niemand weiß, dass du hier bist
von Nicoletta Giampietro

Bewertet mit 4 Sternen

Kurzmeinung: Eigentlich ein süßes Kinderbuch - trotz der Thematik Judenverfolgung und Zweiter Weltkrieg. Ab 12 Jahre.

Bei dem Debütroman von Nicoletta Giampietro liegt der Handlungsschwerpunkt in Italien, genauer gesagt in der schönen Stadt Siena und der Handlungszeitpunkt ist zwischen 1943 und 1945 angesiedelt. Schon wieder ein Buch über den Zweiten Weltkrieg, stöhnt man. Die gibt es wie Sand am Meer. Das Thema ist abgegessen.

Und tatsächlich muss die Autorin mit diesem Umstand kämpfen! Manche Bilder sind einfach ausgelutscht, zum Beispiel die Sammelstellen für Juden zur Deportation, ihre zuvor stattfindende allmähliche Verdrängung zuerst aus öffentlichen Ämtern, dann ganz aus der Öffentlichkeit.

Was ihren Roman jedoch frisch macht, ist die Perspektive aus der Sicht der alteingesessenen italienischen Familie Guerrini, die Familienangehörige in Tripolis, Libyen hat, womit sie sich einen zweiten Erzählstandpunkt verschafft und die Auswirkung des Zweiten Weltkriegs auf die ganze Welt, insbesonders auf Nordafrika sichbar machen kann. Man erkennt die gelernte Historikerin im gesamten Buch, insbesondere wenn sie vom italienischen Faschismus erzählt. So bringt sie einige Fakten, die deutschen Lesern nicht so geläufig sind. Insofern ist ihr Roman auf alle Fälle ein Informationsgewinn.

Auch ihre Protagonisten hat sie ziemlich gut ausgewählt. Der 12jährige Lorenzo ist der Icherzähler des Romans. Er und seine Begeisterung für den Faschismus Mussolinis. Er und seine Freundschaft zum Nachbarsjungen Franco. Und seine spätere Freundschaft zu Daniele Neri.

Zu Anfang sind die Figuren der Autorin nur süß und ziemlich plakativ. Der eine ist gut, der andere böse. Das Buch ist auch nett gemacht, sehr angenehm zu lesen, und mit seiner Schwarzweißmalerei so klar geschrieben, dass es ein Kinderbuch sein könnte. Der Roman erinnert stilistisch an die Malerei der naiven Kunst.

Die erzählerischen Mittel sind jedoch begrenzt. Die meisten Informationen werden durch das Radiohören und Zeitungslesen übertragen, durch Briefe und dummer Frager, kluger Antworter. Allerdings sind diese wenigen Mittel sehr geschickt eingesetzt worden und wirken deshalb nicht total steif. Allenfalls manchmal ein wenig langweilig.

„Niemand weiß, dass du hier bist“ könnte mit seinem inneren Thema „Freundschaft unter Jungs“ und dem süßen Kater Khalil (der weder Flöhe noch Würmer hat) ein Kinder-/Jugendbuch sein, doch dafür ist manchmal einfach zu wenig Action und zu wenig Spannung. Es kommt auch manchmal zu betont belehrend rüber und hat ein paar Längen.

Im Verlauf des Buches verändert die Autorin etwas. Es gibt Zeitsprünge und Ortswechsel. Die Handlung verdichtet sich. Das tut dem Buch spürbar gut. Allerdings übertreibt sie es auch ein wenig mit dem Drama. Doch bekommen die plakativen schwarzen Figuren allmählich auch graue Stellen und silberne Sprenkel. Die weißen Figuren bleiben allerdings weiß. Inhaltlich schrammt das Buch manchmal gerade noch am Kitsch vorbei, doch kriegt die Autorin immer wieder die Kurve (gerade noch so).

Im ersten Teil setzt die Autorin Metaphern sparsam ein. Im zweiten Teil wird sie dem Grundsatz „Weniger ist mehr“ unnötigerweise untreu. Dann wieder schildert sie einen Zusammenhang auf eine sehr besondere Weise, ihre Sprachfähigkeit zeigt sich dann nachdrücklich und ihr Buch wird teilweise ein kleines Kunstwerk.

Fazit: Alles in allem legt Nicoletta Giampietro ein vielversprechendes Debüt hin, das den Leser durchaus in die entsprechende Zeit versetzt und vor allem der jungen Generation ans Herz zu legen ist.

Kategorie: Historischer Roman
Verlag: Piper, 2019
 

Kommentare

Emswashed kommentierte am 04. April 2019 um 07:50

Am Kitsch vorbeischrammen und belehrende Langeweile gehören in kein Jugendbuch. Das vergrault uns nur noch die letzten Nachwuchsleser.