Rezension

schonungslos und zutiefst verletzlich

Durch meine Risse scheint dein Licht - Ann Voskamp

Durch meine Risse scheint dein Licht
von Ann Voskamp

Bewertet mit 3.5 Sternen

"Ich hatte das durchsichtige, zerbrechliche Glas voller Weizen hin und her gedreht, hatte versucht, die Körner zu zählen und in jedem Körnchen einen Tag meines Lebens zu sehen. Mehr Zeit habe ich nicht. Ein unangenehmer Gedanke. Wenn ich will, dass die Zeit nicht länger über mich und mein Leben bestimmt, muss ich mich selbst samt meiner Zeit brechen und geben lassen. 

Ein Weizenkorn liegt noch auf der Arbeitsplatte, ein anderes im Messbecher. Ich nehme die beiden mit den Fingerspitzen vorsichtig hoch, als wären es zwei Goldklümpchen. Man darf kein einziges verschwenden." 

 

Mich hat der Text der Buchankündigung auf der Verlagsseite und die Stimmen zum Buch so angesprochen, dass ich es unbedingt lesen wollte. Die Autorin wird dort als "eine Künstlerin der Worte und eine Kennerin der Herzen" und "New York Times-Bestsellerautorin" mit ihrem "erfrischendenen und lebensspendenden" Buch angepriesen, das jeder lesen sollte, der "erleben musste, wie seine Träume und Hoffnungen enttäuscht wurden". Eine Hoffnung für alle, "die glauben, nicht gut genug zu sein". Ich glaube, darin finden sich vor allem weibliche Leserinnen wieder. Mich hat die Vorfreude, vor allem auf das "erfrischend und lebensspenddend", die noch folgenden Attribute wie "schonungslos" und "zutiefst verletzlich" jedoch überlesen lassen.  

 

Ich muss dazu sagen, dass es mein erstes Buch der Autorin ist und das ich überrascht war, von dem heftigen, oben bereits erwähnten schonungslosen Einstieg in das Buch. Es ist ihre Geschichte, ihr Leben, ihre Erfahrungen und ich schätze ihre offene Art zu Schreiben sehr. Ich habe für mich auch einige Dinge mitnehmen können, die mich bereichert und vorangebracht haben. Aber dieses Buch hat mich auch schlaflos gemacht, mich zeitweise sprachlos zurückgelassen und an der ein oder anderen Stelle habe ich tatsächlich überlegt, es zur Seite zu packen. Vielleicht ist es einfach nicht der richtige Zeitpunkt für mich gewesen. Vielleicht liegt es aber auch an ihrem Schreibstil, der für mich etwas plakativ, sehr direkt, fast derb und übertrieben wirkt. Für mich gewöhnungsbedürftig. Ich habe lange darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es wahrscheinlich ihre sehr intensive Vita und die vielen, sich sehr oft wiederholenden, negativ besetzten Worte sind, die mich beim Lesen überfordert haben. Vielleicht aber auch die amerikanische Art Situationen auf die Spitze zu treiben. 

 

Dabei ist das Thema des Buches sehr interessant und betrifft uns alle. Können wir trotz schlimmer Erlebnisse und Erfahrungen in unserem Leben und in unserem Herzen ein schönes und erfülltes Leben führen? Kann ein Zerbrechen an Kummer und Leid auch ein Aufbrechen sein, ein Anfang? Kann aus den tiefsten Wunden und in der Dunkelheit etwas Neues und Wunderbares (er-)wachsen?   

 

Besonders schön fand ich die Geschichte mit dem Glas mit den Getreidekörnern. Jedes steht für einen Tag unseres Lebens. Für jeden Tag eins. Jeder Tag ist ein Geschenk, an dem wir dafür verantwortlich sind, was daraus entsteht. Wie ernten, was wir sähen. Man darf keinen Tag verschwenden. 

"Es ist so leicht Zeit totzuschlagen. Viel schwerer ist es, seine Zeit zu nutzen." Wie recht sie hat.  

Auch ihre Aussführungen mit der Wartezimmer-Mentalität oder das Beispiel mit der Wasserflasche und dem Rabbiner sind mir im Gedächtnis geblieben. Und Georg mit seinem kleinen leeren roten Eimer. 

 

"Durch meine Risse scheint dein Licht" wurde in Deutschland in seiner 1. Auflage 2018 im Verlag Gerth Medien veröffentlicht. Die amerikanische Originalausgabe erschien bereits 2016 unter dem Titel "The Broken Way". In achtzehn Kapitel auf 314 Seiten, mit großer Schrift, aber auf keinen Fall kurzweilig oder nebenbei zu lesen, ist dieses Buch als Hardcover mit seinem ansprechenden Einband ein schönes Geschenk für alle, die sich gern tiefgründiger mit dem Thema "innere Zerbrochenheit" auseinandersetzen wollen. Dem potentiellen Leser sollte nur bewusst sein, dass die Attribute "schonungslos und zutiefst verletztlich" nicht nur hohle Worte sind. 

 

Fazit: 

Ein sehr persönliches Buch, bei dem die Autorin offen über ihre Verletzungen, ihre Verletzlichkeit, Empfindsamkeit und ihr Versagen spricht. Mit traurigen und schockierenden Momenten, aber auch vielen hilfreichen Tipps und Anregungen für den Alltag. Und mit einer wichtigen Erkenntnis: "Auch aus schweren Zeiten, kann etwas Gutes hervorgehen!"