Rezension

Schonungsloser Realismus!

So enden wir - Daniel Galera

So enden wir
von Daniel Galera

Bewertet mit 5 Sternen

Galera ist Gegenwartsautor, er schreibt Zeitgenössisches. Das ist ja meistens nicht besonders gefällig, aber gefällt. Mir. Nicht allen. Das ist mal ausgemacht! Kein Roman für die Masse. Kein Roman für Blümchenleser!

Das relative dünne Buch von Daniel Galera bietet soviel Stoff zum Reflektieren, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll. Es hat wenig Handlung. Seine Protagonisten sind sexistisch. Wohlaufgemerkt, der Roman ist nicht sexistisch, nur seine Protagonisten sind es.

Im Feuilleton wird das Buch kontrovers besprochen und ich will gleich vorab sagen, dass es mir großartig gefallen hat und dass ich Daniel Galera für einen Stern am Literaturhimmel halte. Auf alle Fälle werde ich sein hochgelobtes Buch „Flut“  bald auf meinen Nachttisch legen. 

Im Einzelnen: Südamerikanische Literatur stellt man sich blumig und schwül vor. Und entsprechendes Ambiente bekommt man, wenn Sao Paulo und Porto Alegre beschrieben werden. Fügt man noch verwesend, schmutzig, schweißig und abfallübersät hinzu, verelendet, verarmt, anonym, verbaut, verkehrsreich und stinkend, bekommt man das Hintergrundbild, auf dem Galera schreibt.

Die drei Erzähler, Emiliano, Aurora und Antero, und backstage der verstorbene Andrei Dunkelsky, sind von anderem Kaliber. Im Schlüsseljahr 1999, in den Anfängen des Internet, haben sie das beste Jahr ihres Lebens. Unter der Führung des charismatischen Duke (Andrei Dunkelsky) probieren sie sich aus, proben Anarchie, Weltverbesserung, Aufstand, Skandal, Zügellosigkeit, Schamlosigkeit und zelebrieren Pornographie öffentlich als Kunst. Es ist ein Aufbruch in ein neues Zeitalter und alles scheint möglich.

Jahre später, als sie zurückblicken, ist der Idealismus der Jugend auf der Strecke geblieben. Sie sind Anarchokapitalisten geworden, stellt Aurora fest.

Galera entfernt sich schnell vom Blumigen. Seine Protagonisten machen und tun nicht(s), sie sind. Und denken. Oder referieren. Handlung steht nicht im Vordergrund und die Figuren des Autors sind keine Sympathieträger. Worüber denken sie nach? Über den Weltuntergang, „apokalyptisch“ ist das Schlüsselwort des Romans.

Haben sie es kommen sehen, damals, als sie sich noch voller Illusionen, Idealismus und Schwung zusammen mit Duke an der Internetplatform Orangotango beteiligt haben?

Ist es nicht immer schon so gewesen, dass die Menschen den Weltuntergang herbeiphantasiert haben, er aber bisher nie eingetreten ist?

Ist es nicht vollkommen umsonst, sich irgendwo einzubringen und läuft die Welt nicht ihren Gang sowieso, unbeeindruckt von menschlichem Engagement?

Und ist der Point of no Return nicht längst überschritten?

Jeder der drei Freunde ist anders desillusioniert. Aurora ist es am ehesten von allen gelungen, den Traum von der Weltverbesserung auch beruflich umzusetzen, da sie als Biologin mit daran arbeitet, die Menschenmassen auch künftig noch mit Nahrung zu versorgen, „Kunstdünger und Gentechnik hatten die Grüne Revolution vorangetrieben, die es uns ermöglichte, fast sieben Milliarden Menschen zu ernähren, aber was war mit den zehn Milliarden, die für das Ende des einundzwanzigsten Jahrhunderts erwartet wurden?“.

Der Autor hat Auroras Rolle als Wissenschaftlerin authentisch gestaltet, seitenlang referiert sie über ihr Projekt, ganz so, wie es alle Wissenschaftler tun, begeht man den Fehler, ihnen zu viel Interesse zu zollen, sie hören nicht auf zu fachsimpeln, bis dir der Kopf vor Langeweile auf die Tischplatte schlägt. Ausserdem ist es Auroras Traum, einmal im Leben in der berühmten Fachzeitschrift Science zu veröffentlichen, vielleicht sogar mit einem Artikel auf das Titelblatt zu kommen. Der Nobelpreis würde folgen. Auch die Machtstrukturen, die an den Unis herrschen, zeigt Galera geschickt auf. Chapeau!

Antero dagegen, schon damals einer, der (nur) eine Rolle spielt, spielt auch heute eine. Er ist ein gefallener Sexgott. Emiliano sagt: „Vor uns stand die Ruine eines Sexsymbols.“ Antero hat es eigentlich geschafft. Er ist reich und wirkt in der Welt des Scheins, der Werbebranche. Leider ist ihm nur allzu bewusst, was er tut, die Leere und Sinnlosigkeit bringt ihn fast um. "Meine Arbeit … basierte auf Verdorbenheit und Lügen." Seinen Frust lädt er in geheimen Sexorgien mit sich selber in Kleenextücher ab ;-).

Emiliano ist am wenigsten beschädigt aus dieser Zeit hervorgegangen. Vielleicht war er damals ja schon zu alt. Er versucht, eine Biographie über Duke zu schreiben, stellt aber fest, dass da nichts ist, worüber man schreiben könnte. Der Duke war eine leere Hülse. Emiliano ist zudem ein Analytiker. Er sieht sein Leben klar und ohne Illusionen vor sich. Und akzepiert es mit seinen Höhen und vielen Tiefen. Das ist groß. Klar, ist er auch ein elender Wichser ;-).

Daniel Galera punktet nicht mit Sympathieträgern, sondern mit allen Elementen des modernen, südamerikanischen Romans, mit überdeutlichen Charakterisierungen und uncharmantem Realismus. Er widmet sich dem Sosein im Dasein, wartet mit Leere, Depression und Ernüchterung auf. Mit Zynismus gar. Und immer wieder mit schwarzem Humor. Doch bevor man völlig in Apathie versinken möchte, wie zeitweise Aurora, gibt es zwischen den Zeilen da und dort auch einen Funken Licht.

Galera ist brutal, weil er schonungslos mit seinen Protagonisten umgeht und ihre Peinlichkeiten bloßlegt. Das, was man nicht mal dem Psychiater sagen möchte, legt er unaufgeregt auf den Tisch, was gerade deswegen Schockwirkung erzeugt.

Fazit: Eine sehr nüchterne Schreibe eines großen Autors über die Weltuntergangsstimmung im Land. Ein hervorragender Darsteller. Ein Stern am Literaturhimmel. „Vielleicht wollte er (Duke) diesen ganzen Katastrophismus als nihilistische Modeerscheinung enttarnen.“ Und vielleicht möchte das auch Daniel Galera.

Leseempfehlung für Leser, die ungeschminkten Realismus mögen.

Kategorie: Moderne Literatur. Anspuchsvolle Literatur
Verlag: Suhrkamp, 2018

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 06. April 2018 um 09:41

Schön, dass Du ein Buch gefunden hast, das Dir so gut gefällt - sowas läuft einem ja nicht dauernd über den Weg! Und eine gute Rezi!

Emswashed kommentierte am 06. April 2018 um 10:50

Na dann will ich mir mal gleich den Galera auf meine Merkliste packen! Hört sich jedenfalls so an, als könnte ich auch ertwas damit anfangen. :)