Rezension

Schüsse auf einen Polizisten - so etwas passierte doch in Island nicht!

Schneetod - Ragnar Jónasson

Schneetod
von Ragnar Jonasson

Bewertet mit 5 Sternen

Ari Thór Arason liegt mit Grippe im Bett, als sein Kollege Hérjolfur nachts in der Nähe eines leer stehenden Hauses angeschossen wird. Dass ein Polizist im Dienst angeschossen wird - so etwas passierte doch in Island nicht! Die Kollegen im Land sind schockiert; denn der Schuss hätte jeden von ihnen treffen können. Mit wem wollte sich Hérjolfur dort treffen? Ari weiß offenbar längst nicht alles, was auf seinem kleinen Polizeiposten passiert. Island leidet noch immer unter den Folgen der Finanzkrise. Dass Siglufjörður inzwischen als angesagter Wohnort floriert, sehen die Einwohner mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie befürchten, dass mit wohlhabenden Neubürgern aus Reykjavik auch neue Probleme Einzug in die Idylle am Fjord halten werden.

Die Ermittlungen führen u. a. zu einem Politiker, der Siglufjörður als Trittstein für seine weitere Karriere nutzt, und zu alten Geschichten, die sich um das leer stehende Haus ranken. Vom unbekannten Täter von außerhalb bis zu schmutzigen Details aus irgendeinem Privatleben als Motiv scheint alles denkbar zu sein. Ein Tagebuch aus den 80ern, das damals sorgfältig versteckt wurde, stammt offenbar von einem Patienten in der Psychiatrie. Es ist in Auszügen zunächst allein Jónassons Lesern zugänglich und wirft die Frage nach einem Zusammenhang auf. Während Zeugen befragt werden, die sich an Ereignisse vor 30 Jahren erinnern könnten, wächst der Druck auf die Ermittler, den Bürgermeister nicht mit Fragen zu behelligen.

Für Ari ist es sicher nicht leicht, eng mit einem Kollegen zusammenzuarbeiten, der sich auf genau die Leiterstelle beworben hat, die Ari schließlich erhielt. Für die Ermittlung im Fall Hérjolfur wird zu Aris Unterstützung ein neutraler Ermittler angefordert. Die Zusammenarbeit mit Tómas bringt in Aris Leben einiges ins Rutschen.

Privat sind Ari und seine Partnerin Kristín in der Situation vieler junger Eltern. Zwei Berufe mit Schichtdienst und die Betreuung eines Kleinkinds lassen sich nicht immer miteinander vereinbaren. In Gedanken hält Ari sich die Möglichkeit offen, wieder nach Reykjavik zurückzugehen und auch Kristín sieht das kleine Krankenhaus im Norden nicht als Endpunkt ihrer Karriere. Aris und Kristíns nicht gerade konfliktfreie Beziehung nimmt in der Handlung breiten Raum ein, die Verknüpfung von Beruf und Privatleben des Ermittlers wirkt jedoch völlig plausibel.

 „Schneetod“ erhält durch längst vergangene Ereignisse in einem verlassenen Haus und den beginnenden isländischen Winter eine düstere Atmosphäre. Ari sieht sich durch den komplexen Fall  an Ereignisse seiner Teenagerjahre erinnert, mit denen er längst nicht abgeschlossen hat. Vom Ex-Greenhorn, das aus der Großstadt in die Provinz kommt, wandelt er sich in diesem Band zu einer vielschichtigen Person. Die Mischung aus Aris persönlicher Betroffenheit und dem Rätseln bis zum Schluss, wer der Tagebuchschreiber oder die Schreiberin sein könnte, fand ich so spannend wie glaubwürdig. Wenn ich mich zu Beginn der Serie auch skeptisch fragte, ob auf einem Polizeiposten im Hohen Norden Islands in Zukunft noch Interessantes passieren wird, wirkt die Serie im 5. Band wie „in ihren besten Jahren“.

Da gleich zu Beginn Aris Vorgeschichte in Siglufjörður in die Handlung eingeflochten wird, sehe ich keinen Grund, nicht mit diesem 5. Band in die Serie einzusteigen.