Rezension

Schuld, Sühne und dehnbare Moralvorstellungen

Das Glashotel -

Das Glashotel
von Emily St. John Mandel

Bewertet mit 3 Sternen

Und auch wenn gefühlt unzählige Charaktere auftauchen und ebensoviele Themen angesprochen werden, so entsteht mit der Zeit ein in sich geschlossener Kreis, eine Art Mikrokosmos indem man sich als LeserIn uneingeschränkt vor und zurückbewegen kann, was eine gewisse Leichtigkeit mitsichbringt.

Wie schon bei "Das Licht der letzten Tage" so ist auch "Das Glashotel" eine charakterfokussierte Erzählung. Als zentrales Thema hat sich Mandel diesmal ein an Bernhard Lawrence (Bernie) Madoffs angelehntes Schneeballsystem ausgesucht, welches als eine Art Ankerpunkt fungiert, mit dem jeder Charakter auf die ein oder andere Art in Berührung kommt. Von Tätern über Opfer bis hin zu ihren Verwandten, Bekannten Liebhabern und Freunden; eine Geschichte über Schuld, Sühne und dehnbare Moralvorstellungen.
Mandel bleibt ihrem Stil treu indem sie innerhalb eines Zeitraums von mehreren Jahrzehnten zwischen Zeitpunkt, Ort und Charakteren hin- und herspringt. Einen Plot im klassischen Sinne gibt es nicht, was das Buch zu keiner einfachen Lektüre macht. Man muss sich die Geschichte erst erarbeiten und aufmerksam bleiben, um die Zusammenhänge erkennen und begreifen zu können.
Man merkt allerdings, dass sich Mandel bei dem Versuch, die Qualität ihres letzten Buches zu erreichen, schwergetan hat. Es mangelt an gewohnter Tiefe und Aussagekraft, trotzdem hat sie ein außergewöhnliches Talent dafür, Charaktere zu erschaffen, deren Lebenswege Interesse wecken, auch wenn aufgrund des besonderen Erzählstils ab und an keine emotionale Verbindung entsteht. Es scheint so, als ob Mandel die menschliche Natur ein Stück weit besser verstanden hat als viele andere von uns und das ist eines der Dinge, die ich an ihren Büchern besonders spannend finde. Und auch wenn gefühlt unzählige Charaktere auftauchen und ebensoviele Themen angesprochen werden, so entsteht mit der Zeit ein in sich geschlossener Kreis, eine Art Mikrokosmos indem man sich als LeserIn uneingeschränkt vor und zurückbewegen kann, was eine gewisse Leichtigkeit mitsichbringt.
Letzten Endes ergibt sich zwar kein so stimmiges Gesamtbild wie bei Mandels letztem Buch, aber es ist sicherlich schwer bis unmöglich vergangenen Erfolgen nachzueifern und trotzdem etwas zu erschaffen, was sich neu und nicht wie eine Kopie anfühlt.
Inhaltlich nicht ganz überzeugend, aber für mich ist und bleibt die Autorin ein Ausnahmetalent, deren Bücher auch weiterhin einen festen Platz in meinen künftigen Lesevorhaben erhalten werden.