Rezension

Schuld, Trauer, Verdrängung, ganz große Fragen!

Am Tag davor
von Sorj Chalandon

Bewertet mit 5 Sternen

Seit 40 Jahren trauert Michel Flavent um seinen großen Bruder Joseph. Nun trauert auch um seine geliebte Frau Cecile. Nach deren Tod  will Michel Rache nehmen an den Verursachern am Tod seines Bruders.

Am 27. Dezember 1974 forderte ein Unfall in der Grube Saint Amé in der nordfranzösischen Bergbaustadt Liévin 42 Todesopfer. Der französische Journalist und Autor Sorj Chalandon nimmt dieses tragische Unglück zur Vorlage seines Romans  Am Tag davor.

Der fiktive Charakter Joseph Flavent stirbt in diesem Buch einige Tage nach dem verheerenden Grubenunglück. Der damals 16-jährige Michel, Bruder des Verstorbenen, ein wenig das Alter Ego des Autors verspürt alle Jahre seines Lebens eine unbändige Wut gegen  die Zeche. Als er frisch verwitwet ist, begibt er sich nach langer Zeit wieder zurück in seine Heimatstadt Liévin, kratzt alte Wunden auf, folgt unausweichlich einem Ruf aus der Vergangenheit. Sorj Chalandon, ein Autor, den ich mir unbedingt merken werde, erzählt eine dunkle Geschichte über Schuld, Trauer, Verdrängung, Recht und Gerechtigkeit. Es sind dunkle Bilder, die er zeichnet, von schwarz umrandeten Fotorahmen, die nur auf neue Portraits  warten, von liebenden und geliebten Kohleherzen. Es sind oft kurze Sätze, die eine treffen wie einen Hieb. Nicht jeder in  diesem Buch hat Mitleid, kann Mitleid mit diesem geplagten Michel Flavent haben. Der Autor aber erzeugt ganz stark Mitgefühl, für diesen Michel Flavent, der die traurigen Augen eines Steve Mc Queen hat. Chalandon lässt einen mitfühlen mit dem Kummer der Hinterbliebenen, macht sich ganz stark gegen die Ungerechtigkeit des Todes der Opfer des Grubenunglücks. Es ist ein sehr männliches und gleichermaßen emotionales Buch, das Chalandon hier vorgelegt hat. Großartig in seiner Knappheit und Größe zugleich.