Rezension

Schuld und Scham

Der Vorleser - Bernhard Schlink

Der Vorleser
von Bernhard Schlink

Bewertet mit 5 Sternen

Eine deutsche Stadt in den Nachkriegsjahren: Michael Berg ist gerade 15 Jahre alt, als er sich in die wesentlich ältere Hanna Schmitz verliebt. Doch eines Tages verschwindet Hanna gruß- und spurlos. Jahre später, Michael ist mittlerweile Student der Rechtswissenschaften, begegnet er Hanna wieder, vor Gericht.

„Der Vorleser“ ist ein Roman von Bernhard Schlink, mit dem der Autor 1995 internationalen Erfolg erlangt hat. Es ist einerseits ein Roman über das Erwachsenwerden, aber auch ein Aufarbeiten deutscher Geschichte und ein Sittenbild des Nachkriegsdeutschlands.

Michael und Hanna führen eine Beziehung im Geheimen. Es ist eine Beziehung geprägt vor allem vom erotischen Begehren eines Heranwachsenden der älteren Frau gegenüber. Michael ist sich dieser Situation vollkommen bewusst. Er erzählt auch niemand von Hanna, hält sich wie selbstverständlich bedeckt vor Familie und Freunden. Michael erhält durch das Verhältnis zu Hanna enormes Selbstbewusstsein, fühlt sich nahezu unbesiegbar und absolut unbefangen, vor allem gleichaltrigen Mädchen gegenüber. Aber es ist auch eine Beziehung der Scham und Demütigung. Und vor allem spürt Michael, dass Hanna ein viel größeres Geheimnis verborgen hält, als ihre Beziehung zu ihm.

Als Michael viel später Hanna als Angeklagte in einem Kriegsverbrecherprozess wieder erkennt, fühlt wieder um vor allem Scham und Schuldgefühl. Michael will gleichzeitig „verstehen und verurteilen“. Wie soll er umgehen mit der Schuld, eine Schuldige geliebt zu haben. Wie kann man überhaupt umgehen mit der kollektiven Schuld einer ganzen Generation. Schlink verbindet Michaels individuelles Fühlen mit dem prinzipiellen Konflikt von Schuld und Verantwortung. Wie verantwortet sich ein Täter, eine Täterin? Kann etwas den Täter, die Täterin entrschuldigen. Schlinks Roman ist so vielfältig und vielschichtig, tiefgründig und gleichzeitig in so klarer präziser Sprache ohne Schnörkel abgefasst, nicht moralisierend und immer noch aktuell.