Rezension

Schuld und Sühne

Das Mädchen im blauen Mantel - Monica Hesse

Das Mädchen im blauen Mantel
von Monica Hesse

Amsterdam, 1943: Die Deutschen haben die Niederlande besetzt. Der Alltag hat sich verändert: Nur mit Bezugsscheinen gibt es Lebensmittel, der Schwarzmarkt blüht, deutsche Posten kontrollieren auf der Straße. Die jüdischen Niederländer müssen einen gelben Stern tragen, erhalten Berufsverbote und werden nach und nach deportiert - wohin genau weiß niemand. Und viele Menschen möchten auch nicht mehr wissen, denn es ist gefährlich sich einzulassen und Stellung zu beziehen. 

Die achtzehnjährige Hanneke hat sich den Umständen angepasst. Offiziell arbeitet sie bei einem Beerdigungsinstitut, doch die meiste Zeit verbringt sie damit, auf dem Schwarzmarkt Waren zu organisieren und auszuliefern. Damit sichert sie den Unterhalt für ihre Eltern, die natürlich nichts von ihren Aktivitäten wissen dürfen. Da bittet eine von Hannekes Kundinnen um Hilfe: Sie hat ein untergetauchtes jüdisches Mädchen versteckt, doch das ist plötzlich spurlos verschwunden. Zunächst will Hanneke den Suchauftrag nicht annehmen, doch bald lässt das Rätsel sie nicht mehr los: Wie konnte Mirjam das verschlossene Haus verlassen? Wo hält sie sich auf? Und warum hat sie überhaupt die relative Sicherheit des Verstecks verlassen?

Die Geschichte wird aus der Perspektive von Hanneke erzählt. Und die bezeichnet sich selbst als egoistisch und hartherzig; sie macht aktiv die Augen zu. Ihre Selbstverurteilung hat einen Grund: Sie fühlt sich schuldig am Tod ihres Freundes Bas, der sich beim Überfall der Deutschen freiwillig als Soldat gemeldet hat und gefallen ist. Seither "funktioniert" sie nur noch. Das Verschwinden von Mirjam reißt sie aus ihrer Versteinerung. Sie möchte das Mädchen retten und dadurch ihre Schuld abtragen, auch wenn ihr bewusst ist, dass man nicht ein Leben gegen ein anderes aufrechnen kann.

Hanneke erkennt nach und nach, was wirklich mit den Juden geschieht, sie erhält Kontakt zur Widerstandsbewegung und organisiert eine Rettungsaktion für Miriam. Zur strahlenden Heldin wird sie dabei nicht, denn durch ihre Fixierung wird ihr Handeln unüberlegt und sie bringt andere in Gefahr. Wie die Geschichte ausgeht, soll hier nicht verraten werden.

Das Buch spielt in der Zeit des Nationalsozialismus. Mit der Protagonistin Hanneke erfährt auch der Leser vieles über die Zeit. Dabei vermeidet die Autorin den erhobenen Zeigefinger: Sie bezieht zwar eindeutig Stellung, doch vermeidet sie die Einteilung in Gut und Böse weitgehend. Ihr Buch wendet sich an jugendliche Leser, und die spricht sie zunächst durch Spannung an, die sie konsequent aufrechthält. Nach und nach erkennen wir auch die Gefühlslage der Mädchen, und mit ihnen kann sich sicherlich vor allem eine Leserin identifizieren, denn da geht es um erste Liebe, Erwiderung oder nicht, Konkurrenz und Neid. Über diesen Teenagerfragen bleiben aber die allgemein gültigen Fragen nach Zuneigung und Liebe, nach Verantwortung, nach Schuld und Sühne.

Jugendliche Leser und insbesondere Leserinnen werden vermutlich von dieser Geschichte angesprochen; nicht umsonst hat es das Buch auf die Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2019 durch die Jugendjury geschafft. Auch ich, die ich nun wirklich nicht mehr als jugendlich zu bezeichnen bin, habe das Buch mit Spannung gelesen und wurde besonders durch die Facetten in der Charakterisierung angesprochen. Diese Stärken haben für mich die Unwahrscheinlichkeit mancher Konstellationen ausgeglichen. Daher: Leseempfehlung.