Rezension

Schwächen erst am Ende

Was uns bleibt ist jetzt - Meg Wolitzer

Was uns bleibt ist jetzt
von Meg Wolitzer

"Was uns bleibt ist jetzt" ist mit einer Altersempfehlung von ab 14 Jahren der erste Roman speziell auch für jugendliche Leser aus der Feder der amerikanischen Autorin Meg Wolitzer, die als Schriftstellerin bereits mit mehreren ihrer Werke Erfolge feiern konnte.

In "Was uns bleibt ist jetzt" geht es um die High-School-Schülerin Jam, die sich Hals über Kopf in den britischen Austauschschüler Reeve verliebt hatte, bevor dieser nach nur wenigen Wochen einer intensiven Beziehung stirbt. Da Jam diesen Verlust nicht verarbeiten kann, beschließen ihre Eltern, sie auf ein Internat für traumatisierte Jugendliche zu schicken, wo sie unter anderem auch mit nur vier anderen Schülern einen Literaturkurs bei der kurz vor dem Ruhestand stehenden Lehrerin Mrs. Quenell besucht. Die Tagebücher, in die diese Lehrerin sie bittet zweimal pro Woche schreiben, entpuppen sich als wirkungsvoller, als die Schüler zunächst angenommen hatten. Sie gelangen durch diese nach Belzhar, einem Ort, an dem sie ihre Vergangenheit noch einmal erleben, zu einer Zeit, in der sie noch glücklich waren. Für Jam bedeutet das, dass sie wieder mit Reeve zusammen sein kann, doch auch in Belzhar ist ihre gemeinsame Zeit nicht für immer…

Meg Wolitzer erzählt die Geschichte von Jam so emotional und nachvollziehbar, dass ich mir kurz vor Ende des 380-Seiten-Buches nichts Anderes vorstellen konnte, als dieses wundervoll ergreifende Leseerlebnis hier mit einer unerschütterlichen 5-Sterne-Rezension zu beenden und den Roman jedem, egal ob Jugendlicher oder Erwachsener zu empfehlen.

Die Beziehung von Reeve und Jam ist atemberaubend und intensiv und, obwohl die Autorin sehr auffällig ein Geheimnis daraus macht, was genau mit dem jungen Briten geschehen ist, habe ich keine Sekunden daran gezweifelt, dass der Verlust dieser großen ersten Liebe Jam in eine Depression voller Traurigkeit und Antriebslosigkeit gestürzt hatte, aus der sie aus eigener Kraft nicht wieder herausfinden konnte. Auch die Nebencharaktere, besonders Jams Mitschüler im Literaturkurs, haben nachvollziehbare und traumatisierende Verluste erlitten, deren Aufarbeitung die fünf Tagebuchschreiber zu einer eingeschworenen Gruppe werden lässt und den Leser an den verschiedenen Schicksalen teilhaben lässt.

Gleichzeitig gelingt es Wolitzer über diese fünf unterschiedlichen Schicksale auch, ihren Roman sehr tief in die Thematik von Trauma, Depression und Trauerbewältigung eintauchen zu lassen, und symbolisiert durch die Tagebücher das bewusste Verarbeiten und Loslassen der Vergangenheit zugunsten einer glücklichen Zukunft, ohne den Leser zu verunsichern oder zu überfordern.
Bis zu einem gewissen Punkt war ich wirklich begeistert von den Charakteren, der Sprache, der emotionalen Atmosphäre – und dann hat das Ende es mit fast vollständig verdorben. Es fällt mir sogar nach wie vor schwer, darin die gleiche Autorin wiederzuerkennen, die die ersten Dreiviertel des Romans so wundervoll geschrieben hat.

Nach der wichtigsten Wendung, nach der es nun an Jam gewesen wäre sich endlich offen gegenüber sich selbst mit ihren Problemen zu befassen, sich ehrlich einzugestehen, was passiert ist, es anderen gegenüber einzugestehen – genauso, wie ihre Mitschüler es getan haben, um ihre Konflikte zu bewältigen und Belzhar hinter sich zu lassen - beginnt der schwache Teil dieser Erzählung, denn zu diesem Aufarbeitungsprozess kommt es bei Jam nicht. Die Autorin erspart von allen ausgerechnet ihrer Hauptfigur diese emotionale Offenlegung, indem sie die Entwicklung unmittelbar nach besagter wichtiger Wendung abbricht und sich stattdessen in die kitschige Auflösung der Probleme einer Nebenfigur stürzt, in der Jam dann zu allem Überfluss auch noch zum alles überblickenden, aufdringlichen und leicht hyperaktiven Helferlein mutiert. Alles an diesem Ende fühlte sich für mich als Leserin falsch an – die Autorin will nichts offenlassen und schustert in unnötiger Eile auf den letzten Seiten Erklärungen zusammen, die die Geschichte nicht gebraucht hätte. Zu allem Überfluss nimmt sie auch noch Mrs. Quenell und ihren Tagebüchern den geheimnisvollen Zauber und ihre Symbolkraft als Medium zur Beschäftigung mit der eigenen Person und hinterlässt stattdessen ein Scherbenhaufen aus schwachen Erläuterungen und einem viel zu übertriebenen Happy End in Anbetracht der teils sehr tragischen Lebensgeschichten.

Fazit: Die meiste Zeit über ist „Was uns bleibt ist jetzt“ ein bezaubernder und tiefgehender Roman über die Bewältigung traumatischer Ereignisse im Leben einiger Jugendlicher, vermischt mit ein wenig Magie, geschrieben in ausgesprochen atmosphärischer Sprache. Leser, denen am Ende einer Geschichte ein allumfassendes Happy End über alles geht, werden selbiges wahrscheinlich auch noch über die letzten Seiten sagen, die für mich leider zur Enttäuschung aus Inkonsequenz und Kitsch wurden, in denen ich die gefeierte Autorin nicht wiedererkennen konnte. Daher bleibt dieser Roman am Ende bestenfalls Mittelmaß - leider. 2.5 Sterne