Rezension

Schwankend zwischen Weinen und Lachen, um am Ende beides zu tun ...

Alles, was ich sehe - Marci Lyn Curtis

Alles, was ich sehe
von Marci Lyn Curtis

Bewertet mit 4.5 Sternen

Worum geht es?

Fragt man Maggie danach, was „ihr Ding“ ist, dann ist die Antwort glasklar: Fußball. Vor sechs Monaten hat sich ihr Leben aber völlig auf den Kopf gestellt: Durch eine Hirnhautentzündung ist sie erblindet und auf einmal ist nichts mehr so, wie es einmal war. Nicht das Verhältnis zu ihren Eltern, nicht ihre Freundschaften und das Zurechtfinden in der Welt, die sie nicht sieht, ist auch nichts, womit sich Maggie so leicht anfreundet. An einem schwierigen Punkt in ihrem Leben begegnet sie Ben. Ben ist aufgeweckt, offen, am laufenden Band mit ihr am Flirten und … zehn Jahre alt. Das eigentlich Bemerkenswerte an ihm ist aber, dass sie ihn sehen kann, und nicht nur das: auch seine unmittelbare Umgebung verschließt sich auf einmal nicht mehr ihrem Blick. Wenn sie Bens Nähe deswegen nicht ohnehin suchen würde, würde ihr der kleine Casanova sowieso keine Wahl lassen. Er drängt sich unerbittlich in ihr Leben und stellt es völlig auf den Kopf. Und zwar nicht nur deshalb, weil sein großer Bruder Mason zufälligerweise der Sänger ihrer Lieblingsband ist. Das einzige Problem: Mason denkt – verständlicherweise –, dass sie ihre Erblindung nur simuliert, um ihm nahe zu sein, aber Maggie wäre nicht Maggie, wenn sie diese ungeheuerliche Unterstellung so einfach hinnehmen würde …

Meine Meinung

Ich wollte dieses Buch unbedingt lesen. Warum? Weil ich unbedingt wissen wollte, warum Maggie Ben denn nun sehen kann. Man hat vielleicht die eine oder andere Vermutung, aber ich hatte den Eindruck, dass die Autorin gerade mit diesen Vermutungen ein bisschen spielt und uns hinters Licht führt. Ich war mir dann doch bis zum Schluss nicht sicher … hatte aber durchgängig ein ungutes Gefühl.

Ich kann die Stimmung des Buches ganz schwer auf den Punkt bringen. Sie hat viele verschiedene Nuancen: Mal ist sie lockerleicht und amüsant, weil Maggie so herrlich sarkastisch und Ben so charmant und bezaubernd ist, dann mal drohend bedrückend, traurig oder berührend und schließlich wieder aufatmend leicht – die Autorin schafft es, ernste Themen immer wieder mit lockeren Momenten zu spicken, ohne an Ernsthaftigkeit und Tiefgründigkeit einzubüßen. Tatsächlich brauchte die Geschichte zwar ein bisschen, um mich in ihren Sog zu ziehen, aber als es dann soweit war, konnte ich überhaupt nicht mehr aufhören, zu lesen. Ich habe mich auf einmal immer wieder dabei ertappt, wie ich mir Textstellen markiert, breit gegrinst oder sogar geweint habe – mal, weil es so traurig und mal, weil es einfach so … schön war.

Die Autorin vermittelt sehr eindrücklich und feinfühlig, wie sich Maggie nach ihrer Erblindung fühlt, wie sie mit ihrer neuen Situation umgeht und unter welchen Schwierigkeiten sie leidet. Man bekommt einen kleinen Eindruck davon, wie es sich anfühlt, auf einmal blind zu sein – und Maggies Gefühle sind beim Lesen auf mich übergegangen: Ich habe mit ihr gelitten und geweint und mich dann wieder unglaublich gefreut. Das war auch deshalb möglich, weil sie eine so wunderbare Protagonistin ist. Keck, schlagfertig und sarkastisch, aber auf der anderen Seite auch sensibel und – wenn es wirklich darauf ankommt – eine gute Freundin, die für einen da ist. Sie ist nicht ohne Fehler, gesteht sich diese aber ein und versucht, an ihnen zu arbeiten. Ich habe die Geschichte sehr gerne aus ihrer Sicht gelesen. Tatsächlich haben mir die Szenen mit ihr und Ben am besten gefallen, obwohl natürlich auch die Szenen mit Mason immer wieder schön waren.

Ben ist aber mein persönliches Highlight. Am Anfang wirkt er einfach nur … ulkig. Ein bisschen frühreif für seine zehn Jahre und ungewollt witzig. Ich habe ihn sofort ins Herz geschlossen. Er ist der kleine Sonnenschein, bei dem man nie weiß, was man als nächstes von ihm erwarten kann. Und auch er hat ein Handicap: Er wurde mit einem offenen Rücken geboren. Im Gegensatz zu Maggie ist er jedoch lebenslustig und lässt sich von nichts und niemandem nicht unterkriegen, weshalb er Maggie mit seinen zehn Jahren noch einiges beibringen wird. Ich hatte in den Maggie-Ben-Szenen immer sehr viel zum Lächeln, Grinsen und Lachen.

Neben Maggies Umgang mit ihrer Erblindung, der lebensverändernden Bekanntschaft und schließlich Freundschaft mit Ben (wenn ich an die beiden denke, muss ich immer noch lächeln) und die schwierigen Verhältnisse zu ihrer Familie und ihren Freunden, gibt es auch eine Liebesgeschichte, die perfekt zwischen all diesen ernsten Themen eingeflochten ist. Sie steht nicht im Mittelpunkt, sondern ist ein erfreulicher Zusatz, bei dem ich von Anfang an mitgefiebert habe, weil sich mit Mason und Maggie zwei so interessante Charaktere gegenüberstehen. Mason verhehlt nicht, dass er Maggie gegenüber misstrauisch ist, aber gerade das zeichnet ihn aus, denn letztendlich will er seinen kleinen Bruder nur beschützen. Obwohl Mason sich gerade am Anfang nicht von seiner besten Seite zeigt, fand ich ihn sofort spannend und interessant – um ihn letztendlich auch ins Herz zu schließen. Die drei bilden einfach ein süßes Trio. Wer seinen persönlichen Fokus auf die Liebesgeschichte legt, wird sich vielleicht daran stören, dass nicht so viel Zeit auf die Gefühlsentwicklung zwischen Maggie und Mason verwendet wird, aber ich hatte am Ende trotzdem das Gefühl, dass die Gefühle zwischen ihnen echt und tief sind. Aufgrund dessen habe ich überhaupt nichts zu meckern. Mich hat das Buch wirklich sehr berührt.

Fazit

Nach einem vor sich hin plätscherndem Anfang hat mich das Buch in seinen Sog gezogen und nicht mehr losgelassen. Es ist witzig, leicht, bedrückend, traurig, emotional und berührend. Ich habe mich in das Buch, die Charaktere und die Story verliebt – 4,5 Sterne!