Rezension

Schwere Zeiten...

Allee unserer Träume - Ulrike Gerold, Wolfram Hänel

Allee unserer Träume
von Ulrike Gerold Wolfram Hänel

Bewertet mit 4 Sternen

Deutschland, genauer gesagt Mühlhausen im Jahre 1932 - dem Land steht ein politischer Umbruch durch die Nationalsozialisten  ins Haus, während die 10-jährige Ilse als Scheidungskind mit ihrer jüngeren Schwester Marga bei ihrer Mutter Grete und den Großeltern aufwächst. Während ihre Mutter als Krankenschwester in einer Klinik arbeitet, ist Ilse´s Vater als Architekt im elterlichen Betrieb tätig und legt trotz seiner Arbeit Wert darauf, möglichst viel Zeit mit seiner älteren Tochter zu verbringen - regelmäßig holt er sie nach der Schule ab und sie fahren gemeinsam mit dem alten Pritschenwagen in das  Architekturbüro, wo Ilse die Liebe für die Arbeit ihres Vaters auch für sich selbst entdeckt und den Entschluß fasst, selbst Architektin zu werden.
Die Kriegswirren spalten das Land und als junge Frau hat Ilse es nicht leicht, sich in einer Männerwelt zu behaupten, nachdem sie ihr Studium beendet hat. Auch sind ihre Eltern mittlerweile schwer erkrankt und sie muss sich entscheiden, welchen weiteren Verlauf ihr Leben nehmen soll.  Durch eine Tragödie nimmt sie die Identität ihrer Schwester an, macht sich in der inzwischen gegründeten DDR nach Kriegsende auf den Weg nach Berlin und stellt dort ihre Pläne für die neue Prachtallee - die "Stalinallee" - vor. Dort trifft sie auf ein bekanntes Gesicht, ihren Schwager Helmut, der sich Ilse und ihre Idee quasi unter den Nagel reißt. Fortan steht sie in einem ständigen Konflikt mit sich selbst, den Männern um sie herum und dem, was sie wirklich will - als Mensch irgendwo ankommen und dem einfachen Volk bezahlbaren Wohnraum bieten. Überhaupt spielen Männer in Ilse´s Leben eine sonderbare Rolle: ihr älterer Cousin Hans, der immer ihre heimliche Liebe gewesen ist und durch seine Homosexualität mit Hilfe von Ilse´s Mutter vor den Nazis fliehen konnte. Paule der Koch, ein einfacher Mensch mit einem großen Herzen, der sie mehr als einmal aus einer vertrakten Situation retten wird... Vieles kommt letztlich anders, als gedacht oder gewünscht... Aber, ist das nicht auch so typisch für das Leben an sich? Sie baut ihre Prachtallee, aber der Preis , den sie und andere dafür zahlen ist hoch, auch politisch gibt es nur einen Kurs - den, den die Genossen vorgeben, ansonsten drohen einem schlimme Konsequenzen...
Meinung und Fazit: Ich lese gerne historische Romane, allerdings hatte ich bis jetzt eher Romane um das Mittelalter oder früher, gelesen.  Dieses ist eines meiner ersten Bücher, dass mit seiner Handlung nur ein paar Jahrzehnte zurück liegt und man kann manches gut nachvollziehen bzw kennt einige Ereignisse aus Erzählungen von Bekannten etc. In meiner Kindheit der 70er und 80er hatte ich regelmäßig Kontakt/Besuch von/zu einem gleichaltrigen Mädchen, dass in der DDR (Ost-Berlin) geboren und gelebt hat, aus ihren Schilderungen konnte man nur erahnen, was sich dort wirklich im Bauern- und Arbeiterstaat zugetan hat.
Mir gefällt die Rolle der jungen, selbstbewussten Ilse  gut, die sich früh ihren eigenen Weg durch diverse Schicksalsschläge bahnt und sich nur selten von ihrem Ziel abbringen lässt. Umso erstaunter war ich, als sie mit ihrem Schwager einen Pakt eingeht bzw sich durch ihren Identitätswechsel zu einer "Zusammenarbeit" gezwungen sieht, das zeigt einem leider nur zu gut, in welcher Rolle sich Frauen in den 40er/50er-Jahren anzupassen hatten - still, adrett und sittsam, ohne eigenen Willen sich der Männerwelt fügend. Ein Umstand, den man sich heute mancherorts nur schwer vorstellen kann. Was mich weniger, als bestimmt manch anderen Leser, kaum gestört hat, ist die Tatsache, dass die Zeit des dritten Reichs nur nebenher, quasi als Handlungsraum, fungiert hat und man mehr auf die Zeit "danach" eingegangen ist. Für mich ist das Buch von Ulrike Gerold und Wolfram Hänel ein gelungendes und flüssig zu lesendes Buch um eine junge Frau, die ihren Traum Wirklichkeit werden lässt - keine allzu schwere Lektüre, die dennoch ziemlich real daher kommt, schließlich handelt es sich um einen Roman, von dem niemand erwartet, das wirlich alles so passiert ist. ;-)