Rezension

Schwieriges Thema - gut umgesetzt. Sehr informativ mit dem typischen Gricksch'en Humor :-)

Morgens in unserem Königreich
von Gernot Gricksch

Bewertet mit 4 Sternen

Arne ist echt am Ende. Wenn auch nicht unverschuldet. Zumindest teilweise. Er jobbt in einer Würstchenbude auf dem Hamburger Kiez. Dort, auf dem Kiez, ist ihm übel mitgespielt worden. Naiv, wie er ist, haben ihn handfeste Betrüger ausgenutzt und um eine Menge Geld gebracht. Sein Traum von einer eigenen Bar ist jäh geplatzt. Und das Schlimmste: er schuldet seinen Eltern eine Menge Geld, traut sich jedoch nicht, ihnen zu gestehen, dass er betrogen worden ist. Und wenn man denkt, es geht eigentlich nicht schlimmer - falsch! Arne ist richtig schlecht dran... Wie durch ein kleines Wunder findet der vollkommen atheistisch ausgerichtete junge Mann in seiner größten Not Unterschlupf bei den Zeugen Jehovas. Er hofft, dass ihr großer, guter Gott ihm helfen kann. Das tut er natürlich nicht wirklich, aber Hilfe bekommt Arne dennoch. Allerdings stellt er mit der Zeit das beschauliche, wohl organisierte Leben der Zeugen Jehovas gehörig auf den Kopf, was nicht bei jedem auf Mitgefühl stößt. Was wird wohl letztlich aus ihm werden?

Gernot Gricksch hat sich hier sehr informativ, kritisch, humorvoll und zugleich unglaublich behutsam einem Thema gewidmet, das nicht einfach ist. Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas lebt streng nach dem Wort Gottes, wie es in der Bibel steht. Es gibt viele Vorschriften, Verbote und Gebote. Und es gibt innerhalb der Gemeinschaft eine Hierarchie. So haben bspw. die sogenannten "Ältesten" immer das letzte Wort. Einige entscheiden sich im Laufe ihres Lebens bewusst für eine Taufe bei den Zeugen, andere werden hineingeboren und wachsen in dieser Gemeinschaft auf. Im öffentlichen Leben sind sie nicht selten Außenseiter und "komische Typen", was ihnen auch einen gewissen Ruf beschert. Eigentlich wollen sie nur eines: Gott gefällig sein, um beim Armageddon zu den Auserwählten zu gehören, die überleben dürfen... Nun ja. Darüber darf natürlich jeder denken, was er will ;)

Was Gricksch hieraus macht, ist sehr spritzig einerseits (eben typisch für den Autor^^) und sehr tiefgründig hinterfragend andererseits. Das Aufeinandertreffen des chaotischen, etwas naiven jungen Mann vom Kiez mit den gottgefälligen Zeugen bietet natürlich eine Menge Stoff, der für Lacher sorgt. Und es kommen diese vielen Fragen aufs Tapet, mit denen auch ich seinerzeit einen nahen Angehörigen gelöchert habe, der für einige Jahre zur Religionsgemeinschaft dazugehört hat. Die Antworten kommen mir ebenfalls sehr bekannt vor, befriedigen mich jedoch nach wie vor nicht wirklich. Aber das ist nun rein subjektiv und sicher sieht es jeder anders. Was mich beeindruckt hat, ist, dass Gricksch nicht permanent mit dem erhobenen Zeigefinger wedelt, sondern dass er gleichzeitig einfühlsam hervorhebt, was die Zeugen Jehovas ebenfalls ausmacht: ein unerschütterlicher Glaube und ein großes Gemeinschaftsgefühl, gegenseitiges Helfen und Auffangen, ein zumeist großer innerlicher Friede, der sie leitet. Gleichzeitig wird aber bei der Lektüre deutlich, dass dies nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass hinter den Kulissen durchaus nicht alles schön ist. Es sind eben Menschen - mit ihren Stärken, aber natürlich auch Schwächen.

Mir hat der Roman gut gefallen. Der frische Schreibstil des Autors lässt mich durch die Seiten fliegen. Die gut recherchierten Hintergründe zu den Zeugen Jehovas lassen mich ein ums andere Mal zustimmend nicken, weil ich es genau so erfahren habe. Und sie lassen mich durchaus sprachlos zurück. Dass Gricksch ab und zu ein bisschen dick aufträgt und der Roman teilweise recht konstruiert wirkt, hat mich nicht so sehr gestört. Insgesamt ein ausgewogener und sehr informativer Roman mit hoffnungsvollem Ende, das aber keineswegs kitschig ist!

Fazit: Gut recherchiert, informativ, ehrlich, spritzig, bewegend, schockierend, humorvoll und bei all der nicht einfachen Kost in Punkto "Zeugen Jehovas" sehr einfühlsam, kritisch, aber auch respektvoll geschrieben. Vielen Dank, Herr Gricksch. Gefällt mir gut.

Kommentare

LySch kommentierte am 18. April 2017 um 22:11

Super geschriebene Rezi Bianca!
Ich kenne bisher kein Buch dieses Autors und ich hätte von mir aus auch nicht danach gegriffen ehrlich gesagt... Aber deine Rezi macht richtig Lust, sich vor allem mal dieses Büchlein zu Gemüte zu führen! :) Die Thematik ist super spannend!
Kennst du "Kindeswohl" von Ian McEwan? Ähnliche Thematik, aber eher spannende/ beklemmende Atmosphäre. Das hat mich damals total umgehauen und fasziniert.

Naibenak kommentierte am 19. April 2017 um 11:28

Dankeschön:-)
Ja, ich finde die Thematik auch sehr spannend. Vorallem, weil ich direkte Erfahrungen gemacht habe. Kindeswohl habe ich auch gelesen. Fand ich ebenfalls sehr gut, das beschränkt sich aber in erster Linie auf das Thema Bluttransfusion, wenn ich mich recht entsinne ;) Bei Gricksch erhält man mehr Einblicke in das Leben der Zeugen. Allerdings ist sprachlich gesehen ein McEwan noch etwas weiter "oben" anzusiedeln "lach"... Gricksch ist mehr der Unterhalter, hier aber mit viel Information und Feingefühl...

LySch kommentierte am 19. April 2017 um 16:17

Ja, das stimmt; Kindeswohl beschränkt sich eher auf Bluttransfusion. Es ist mir aber beim Thema Zeugen Jehovas sofort eingefallen!;)
Und es muss ja nicht immer hochtrabende Literatur sein :D Ich finde, dass sich dieser Grick super spannend und unterhaltsam anhört! Und wenn man dabei auch noch einiges erfährt, weil gut recherchiert wurde, klingt das doch nach einem gelungenen Buch :)