Rezension

Sehnsucht aus Blei

Miroloi - Karen Köhler

Miroloi
von Karen Köhler

Bewertet mit 4.5 Sternen

Endlich, endliche, fünf Jahre nach ihrem wunderbaren Kurzgeschichtenband „Wir haben Raketen geangelt“ veröffentlicht Karen Köhler nun ihren ersten Roman. Ich hatte mich sehr auf dieses Buch gefreut und bin zum Glück nicht enttäuscht worden.

Wir folgen einer namenlosen Icherzählerin die in einem kleinen abgelegenen und archaisch anmutenden Dorf lebt. Dieses Dorf liegt auf einer Insel, die gut und gerne zu Griechenland oder Italien gehören könnte. Berge, Meer, Olivenbäume, Gräser, Sonne; die Landschaft wirkt idyllisch. Aber schon mit den ersten Sätzen erfahren wir, dass es im Dorf selbst ganz anders zugeht. Als Findling, als Fremde, wird unsere junge Erzählerin von der Dorfgemeinschaft nicht richtig akzeptiert. Sie ist der Unglücksbringer, der Sündenbock für alles was schief läuft, obwohl sie schon ihre ganzes Leben auf der Insel verbracht hat. Ihr unauslöschlicher Makel ist, dass niemand ihre Mutter oder ihren Vater kennt. Deshalb darf sie auch keinen Namen haben. So sind die Gesetze.

Mir hat die Stimmung des Romans von Anfang an sehr gut gefallen. Die seltsamen Eigenheiten des Dorfes zu erkunden hat mir Spaß gemacht. Ebenso, mich in die Religion einzufinden, die Köhler speziell für ihr Buch erfunden hat. Wie unser Findling durch diverse kleine Umbrüche aus seinem harten aber doch verlässlichen Leben gerissen wird und sie ihr Dorf, ihren Ziehvater, sich selbst und ihr Leben mehr und mehr zu hinterfragen beginnt.

Auch wenn die Sprache gerade auf den ersten Seiten etwas derb daherkommt mochte ich Köhlers Stil sehr gerne. Ihre namenlose Protagonistin hat eine simple aber oft poetische Art zu sprechen, die mich gerade mit Wendungen wie „ich zickzackte“ ein bisschen an Zachry in David Mitchells Wolkenatlas erinnert hat. Auch mochte ich die bildhaften Beschreibungen des Dorfes, der Riten, der Essenszubereitung und der Tätigkeiten, die im Jahresverlauf so anfallen und bei denen die ganze Dorfgemeinschaft mir anpackt wie beispielsweise die Olivenernte. Ich habe die Sprach sehr genossen.

Karen Köhler bezeichnet ihren Roman als „Stellvertreterparabel“. Und Parabel trifft das Ganze ziemlich gut. Die Ereignisse in Dorf stoßen den Leser wunderbar zum nachdenken an: Was würde ich machen? Wäre ich laut wie Mariah? Würde ich ertragen wie Sofia? Kann eine Dorfgemeinschaft so funktionieren? Man kann einfach nicht anders, als sich beim lesen Gedanken zu Moral und Gesellschaft zu machen. Aber trotzdem verliert die Geschichte nicht ihrem mitreißenden Charakter und ihren wundervollen Umgang mit unserer Sprache.

Miroloi hat mich auch beschäftigt, wenn ich es zur Seite gelegt habe und ist für mich eines der Bücher, die ich gerne nochmals lesen würde. Ich habe mit der Erzählerin gelitten,mit ihr gebangt, war mit ihr enttäuscht, traurig und entrüstet. Ich wäre genauso gerne länger im schönen Dorf geblieben wie ich mir gewünscht hätte, eher dort wegzukommen. Einzig eine Antwort auf die eine oder andere Frage hätte ich gerne noch gehabt. Aber das fällt kaum ins Gewicht. Von mir gibt es eine große Leseempfehlung!

Kommentare

Buchdoktor kommentierte am 30. August 2019 um 20:50

Das scheint ja ein guter Griff für dich gewesen zu sein. Freut mich.