Rezension

Sehr berührendes und eindrucksvolles Debüt

Die Welt in allen Farben - Joe Heap

Die Welt in allen Farben
von Joe Heap

Bewertet mit 4 Sternen

"Die Welt in allen Farben" ist der Debütroman von Joe Heap und erscheint im September 2019 im HarperCollins Verlag.

 

Die junge Nova spricht fünf Sprachen und arbeitet als Dolmetscherin am Gericht. Sie erkennt einen Lügner am Klang seiner Stimme, nur sehen kann sie nicht, denn sie ist von Geburt an blind.

Durch eine Operation kommt die Sehkraft zurück, doch dieses Sehen bereitet Nova große Schwierigkeiten, sie findet sich plötzlich in einer Welt voller Bilder nicht mehr zurecht.

Auch Kates Vergangenheit war von Dunkelheit geprägt. Beide Frauen lernen sich kennen und gemeinsam überwinden sie die Hürden des Sehens und helfen sich, mit ihren Augen das Schöne der Welt wahrzunehmen.

Blindheit ist für Sehende ein Rätsel, doch wie geht es Blinden, wenn sie wieder sehen können? Auch das ist mit Schwierigkeiten verbunden. Diese optischen Eindrücke müssen erst einmal verarbeitet werden. Was bedeuten Farben, Formen und menschliche Züge?

Genauso ergeht es der Protagonistin Nova. Sie ist von Geburt an blind, doch sie ist optimistisch und zufrieden und ihr Leben verläuft auch ohne Sehkraft in geordneten Strukturen, sie hat einen Job und findet sich in ihrer Umgebung gut zurecht. Als ihr eine Operation die Sehkraft zurück gibt, hat sie große Schwierigkeiten, sich in der Welt der "Sehenden" zurecht zu finden. Der Autor zeigt sehr eindrucksvoll ihre Situation, ihre Bedenken und ihre Fragen, sodass man sich ihrer Figur sehr nahe verbunden fühlt.

Kate hat dagegen ein ganz anderes Schicksal, auch sie lebt in einer Dunkelheit, doch diese unterscheidet sich von Novas Welt. Es sind Gründe wie häusliche Gewalt und ein unerfülltes Leben, die Kates Leben dunkel machen.

Das Kennenlernen der Beiden ist eine Art Liebesgeschichte, Nova ist lesbisch, Kate ist noch in ihrer Ehe gefangen.

Der Roman beschreibt, wie sich die Frauen den Weg ins Leben öffnen und sich verändern. Entscheidender war für mich aber die intensive Darstellung der Sichtweise vom Sehen, hier benutzt der Autor Novas sogenannte "Sehregeln", fast 400 an der Zahl, die das Sehen bewusst in vielen Facetten hinterfragen. Der Autor nimmt das selbstverständliche Sehen zur Grundlage und versetzt den Leser in die Lage, bewusst über das Sehen nachzudenken. Bei diesen Sehregeln gibt es eine zahlenmäßige Unstimmigkeit, nach der 389. Sehregel auf Seite 369 folgt die 399 (Seite 377). Hier müsste man noch nachbessern.

Auch wenn ich mich in die Figuren etwas hineindenken konnte, so konnte ich manches Handeln nicht nachvollziehen. Kates Eheprobleme werden von ihr verschwiegen, sie redet auch mit Nova nicht darüber. Mit ihr bin ich während des Buches nicht warm geworden, denn sie lässt den Blick darauf nicht wirklich zu. Andere Figuren spielen in dem Buch eine untergeordnete Rolle, dabei hätten sie einiges zur Handlung beitragen können und auch die anfängliche Liebesgeschichte verblasst immer mehr.

Am Ende kommt es dann noch einmal zu einer dramatischen Aktion, die sehr überraschend für einen besonderen Abschluss der Geschichte sorgt.

Für ein Debüt hat sich der Autor hier sehr gut geschlagen und mit der Schilderung von Sinneseindrücken mal eine ganz andere Sichtweise aufgezeigt.