Rezension

*+* Sehr eigenwilliger Roman *+*

Im Winter schläft man auch bei Wölfen - Andrea Molesini

Im Winter schläft man auch bei Wölfen
von Andrea Molesini

Bewertet mit 5 Sternen

*+* Zu meinem Blogbeitrag "bebildert und in Farbe" geht es hier entlang:
http://irveliest.wordpress.com/2014/10/16/andrea-molesini-im-winter-schl... *+*
Liebe Lesefreunde,
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Stellt euch vor, ihr wärt 10 Jahre alt, euer Vater ist im Krieg verschollen, die Mutter verstorben und alles, was euch geblieben ist, ist euer bester Freund, ein Jude. Plötzlich müsst ihr fliehen, findet zum Glück Hilfe durch liebe Glaubensmenschen eines Klosters und könnt so der Verfolgung und dem sicheren Tod entgehen. Denn auch nach Italien reichten die grausamen Tentakeln „unseres“ damaligen Regimes.
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Gruselt euch diese Vorstellung genauso wie mich? Kein Thriller kann mit diesen Gefühlen konkurrieren, die mir beim Lesen dieses Romans immer wieder gekommen sind.
Denn diese Erzählung ist – auch, wenn sie in dieser ganz speziellen Form erfunden ist – real. Den Zweiten Weltkrieg gab es wirklich und auch vor der italienischen Grenze machten die Stachelschweine, wie Pietro die Deutschen bezeichnet, nicht halt.

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„Wenn wir jetzt sterben, haben wir uns wenigstens Ciao gesagt. Es ist nicht schön, in den Tod zu gehen, ohne sich zu verabschieden, wie es meine Mama gemacht hat. Auch wenn ich weiß, dass manchmal keine Zeit ist, weil der Tod tut, was er will.“
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Pietro ist der Junge, der uns seine Geschichte erzählt. Er ist zehn Jahre alt und sieht den Krieg nicht aus den Augen eines Erwachsenen, erkennt nicht den Schrecken dieser Zeit. Zumindest nicht nur, denn Pietro ist ein abenteuerlustige Junge und so kommt es, dass ihm einige Situationen auf der Flucht auch ein wenig Spaß bereiten. Aber irgendwann ist das Maß voll.
Als sein Unterbewusstsein die Grausamkeiten und Gräueltaten als zu groß empfindet, gesellt sich hin und ein wieder ein Wolf zu dem Jungen. Ein Wolf, der ihn in den schlimmsten Situationen beschützt und ihm das Gefühl gibt, nicht allein zu sein.
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„Und mein Wolf kommt. Er kommt aus dem Schatten und aus dem Licht, er kommt aus dem Unterholz, und er kommt hierher, um mich zu beschützen, jetzt spüre ich, dass mein Herz schlägt, und der Magen ist etwas weniger hart.“
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Ach Pietro, wie habe ich mit euch allen gelitten, aber vor allem mit dir und deinem Freund Dario. Ihr seid noch Kinder und habt noch euer Leben vor euch. Ich mag den Gedanken nicht, dass ihr – wie so viele andere damals und noch viel mehr Kinder heutzutage – durch einen sinnlosen Krieg viel zu schnell erwachsen werden müsst und durch die traumatisierenden Ereignisse vielleicht verlernt, ein Mensch zu sein.
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Wie froh war ich, als ihr eure Beschützer fandet, du deinen Wolf und Dario sein Huhn. Ein Huhn, das mit dem Ei eine vollkommene geometrische Form erschafft, war die richtige Wahl für deinen numerophilen Freund.
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Liebe LeserInnen, ich weiß, mein letzter Satz mag bei vielen ein Stirnrunzeln hervorgerufen haben…..
Genauso wie es der Autor bei mir getan hat.
Die Handlung dieses Romans ist für mich nicht herausragend, sie hebt sich nicht sehr aus der Masse an Kriegserzählungen hervor. Was aber sehr bezeichnend für das Buch ist, ist der Ton, den Andrea Molesini anschlägt, diese Wortgewalt, mit der mich die Erzählung traf!
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„Ich denke, dass es gut ist, Angst zu machen, es ist besser, als sich beliebt zu machen, weil das Beliebtsein schneller vergeht, die Angst dagegen liegt einem im Magen und tut einem in den Zähnen weh. Die Deutschen machen Angst, deswegen haben sie das Kommando, wir Kinder dagegen müssen gehorchen.“
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Der Autor spielt mit den Worten, schafft eine individuelle, sehr eigenwillige Sprache. In den Stil musste ich mich erst einfinden, aber schnell erkannte ich, dass diese Schreibe sehr gut zu den Empfindungen einen Zehnjährigen passt, der all die unglaublichen Dinge auf seine kindliche Art sieht und versteht – manchmal mit einer unglaublichen Klarheit.
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„Man weiß nicht, was die Augen der anderen sehen.“

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Manchmal hätte ich mich gerne in den Roman begeben, mich zu den Kindern gesetzt, mit ihnen gesprochen und ihnen Mut gemacht. Zum Glück flohen sie in liebevoller Gesellschaft, die den Schaden, den sie Jungen zu nehmen drohten, möglichst klein hielt.
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Eine dieser edlen Damen kommt in Form ihrer Tagebucheinträge, die immer wieder in den Roman eingeflochten werden, zu Wort. So liest man zwar einige Begebenheiten zweimal, erhält aber so auch eine interessante Sicht der Dinge aus der erwachsenen Perspektive.

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„Ich mag die spitzen Bäume, die es in den Bergen gibt, schwarze Bleistifte, die den Mond anpieksen.“
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Die Kapitel des Buches sind meist kurz bis sehr kurz gehalten, was mich immer wieder dazu verleitete, weiterzulesen und eine stetig steigende Verbundenheit zu den Charakteren entwickelte.
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„Im Winter schläft man auch bei Wölfen“ war für mich ein ganz anderes Buch über den Zweiten Weltkrieg. Obwohl ich mit dem Schreibstil zunächst etwas zu kämpfen hatte, erreichte mich das Buch mehr und mehr und zwang mich immer wieder innezuhalten und nachzudenken.
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„Die Großen halten sich für stärker als wir, aber man muss sie verstehen, es ist zu lang her, dass sie zehn Jahre alt waren, und so ist ihr Denken ein bisschen kaputt.“
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Ein sehr eigenwilliger Roman aus dem Piper Verlag, den ich dennoch oder gerade deshalb empfehlen möchte. Mir hat er schlussendlich sehr gut gefallen, auch wenn das Thema alles andere als schön ist.

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