Rezension

Sehr empfehlenswerte Lektüre zum Thema Depression ​

Reasons to Stay Alive - Matt Haig

Reasons to Stay Alive
von Matt Haig

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Reasons to Stay Alive“ in ein bestimmtes Genre einzuordnen, ist gar nicht so leicht. Ein richtiges Sachbuch über Psychologie ist es nicht, denn Matt Haig streut zwar zwischendurch ein paar Zahlen und Fakten ein, erzählt jedoch vor allem von seinen eigenen Erfahrungen und persönlichen Ansichten. Ein reiner Erfahrungsbericht ist es jedoch ebenfalls nicht, denn Kapitel, die halbwegs chronologisch Haigs Krankheitsgeschichte beschreiben, wechseln sich mit Kapiteln über Depression allgemein und deren Wahrnehmung in der Gesellschaft ab.
Gerade dieser Stil- und Genremix macht das Buch jedoch zu einer kurzweiligen und lohnenden Lektüre.

Matt Haig ist kein Psychologe, sondern Schriftsteller und „nur“ ein Mensch, der von Depressionen selbst betroffen ist. Dadurch hat er keine sonderlich wissenschaftliche Sicht auf das Thema, dafür aber eine sehr persönliche, die sich in seinen eindringlichen Beschreibungen der Krankheit und ihrer Symptome niederschlägt. Während man mit einem wissenschaftlichen Buch mehr über die Gründe und Funktionsweise von Depressionen erfahren würde, hat man mit „Reasons to Stay Alive“ das Gefühl, zu verstehen, wie depressive Menschen sich fühlen. Für Angehörige Betroffener ist dies meiner Meinung nach mindestens ebenso wertvoll wie ein wissenschaftliches Verständnis, da man so emotionale Reaktionen Depressiver besser verstehen und eventuell besser einschätzen kann, wie man mit Ihnen umgehen und auf sie reagieren sollte. Das Buch enthält sogar eine Passage genau darüber.

Besonders stark sind beispielsweise die Passagen „Was Depression zu dir sagt“ über all die destruktiven Gedanken, die depressive Menschen erleben können, und „Wie sich eine Panikattacke anfühlt“.
Neben sehr persönlichen Episoden aus Haigs Leben, in denen es unter anderem um seine Beziehung zu seinen Angehörigen und seine berufliche Laufbahn während und trotz seiner Depressionen geht, enthält das Buch allgemeinere Beschreibungen der Symptome von Depressionen und einige Tipps, beispielsweise zum Umgang mit depressiven Menschen und zu Aktivitäten, die ein wenig helfen können.
Dabei betont Haig stets, dass dies alles nur seine persönlichen Erfahrungen sind und nicht zwangsläufig für alle Menschen gelten, was ich sehr wichtig finde.

Persönlich fehlte mir leider sehr die Erwähnung der Möglichkeit, sich Hilfe von außen zu holen. Haig erklärt, wieso er nie Medikamente gegen seine Depression genommen hat, erwähnt jedoch mit keinem Wort die Möglichkeit einer Therapie. Obwohl es bewundernswert ist, dass er offenbar durch die Liebe seiner Angehörigen, das Schreiben und mit der Zeit mit seiner Depression leben konnte, finde ich es als Hinweis für andere Betroffene dennoch wichtig zu erwähnen, dass man sich Hilfe in Form von Therapieangeboten holen kann. Nicht jeder Mensch kommt alleine mit seiner Erkrankung klar und das ist vollkommen normal und in Ordnung. In Zeiten, in denen es vielen Menschen noch immer schwerfällt, eine psychische Erkrankung einzugestehen, anderen davon zu erzählen und einzusehen, dass man sie alleine nicht bewältigen kann, hätte eine Ermutigung dazu sicher gutgetan.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Buches ist die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. In starken, leicht ironischen Kapiteln wie „Dinge, für die ich mehr Mitleid bekommen habe als für meine Depressionen“ und „Dinge, die Menschen über Depressionen sagen, die sie über andere tödliche Krankheiten nicht sagen“ macht Haig sehr treffend darauf aufmerksam, dass Depressionen (und andere psychische Erkrankungen) häufig nicht als „richtige“ Krankheiten ernstgenommen und als reine Traurigkeit oder schlechte Stimmung abgetan werden. Seine eindringlichen und anschaulichen Beschreibungen seiner Symptome zeigen jedoch, dass man mit dieser Ansicht falscher nicht liegen könnte. Den wissenschaftlichen Beweisen für Depressionen widmet er sich jedoch eher weniger.

Haig spricht auch den sehr wichtigen Punkt an, dass man Depressionen „ohne Grund“ hat. Dass man genug Geld, eine Familie und einen tollen Job hat, muss nicht bedeuten, dass man nicht an Depressionen erkranken kann - ein weiteres häufiges Missverständnis, mit dem in diesem Buch aufgeräumt wird.

Fazit

„Reasons to Stay Alive“ ist eine kurzweilige und lohnenswerte Lektüre, die mit Missverständnissen und Stigmata rund ums Thema Depressionen aufräumt und einen sehr anschaulichen Einblick in die Gefühle und Gedanken eines Betroffenen bietet. Man sollte sich beim Lesen jedoch bewusst sein, dass es sich nicht um ein wissenschaftliches sondern vor allem ein persönliches Werk handelt. Der einzige Wermutstropfen ist für mich die fehlende Erwähnung von Hilfe von außen, z.B. Therapien.