Rezension

Sehr gelungen

Erziehen ohne Schimpfen - Nicola Schmidt

Erziehen ohne Schimpfen
von Nicola Schmidt

Bewertet mit 4 Sternen

Ab und an bin ich um die "artgerecht"- Bücher herumgeschlichen, habe aber jetzt erst zugegriffen, weil mich das Thema gerade sehr beschäftigt. Das Buch habe ich dann auch wirklich verschlungen und es wird mich auf jeden Fall weiterhin begleiten.

Die Autorin stellt wunderbar dar, warum und in welchen Situationen geschimpft wird, welche Folgen dies hat und zeigt gleichzeitig praxisnahe, sehr alltagstaugliche Alternativen auf.

Tiefgründig und auch berührend geht die Autorin auf Überforderungsprozesse und Stressituationen ein. Besonders gefiel mir hierbei die Abschnitte über die Scham- und Schuldgefühle.

Sie zeigt zudem, wie wichtig das Wahren der eigenen Balance in Anbetracht der inneren und äußeren Anforderungen des modernen Lebens ist und gibt diesbezüglich alltagstaugliche Tipps. Ebenso interessant sind die Einblicke in das Leben von Naturvölkern hinsichtlich der Kindererziehung.

Der Praxisteil, der sich auf den Umgang mit den Kindern bezieht, ist sehr überzeugend, hier fand ich viele neue Anregungen, wenngleich man einiges schon intuitiv so macht. So stellt die Autorin beispielsweise dar, wie Kommunikation besser gelingen kann und wie man mit Spielangeboten schwierige Situationen entschärfen kann.

Der Erziehungsratgeber ist gut strukturiert und nach jedem Kapitel gibt es eine kurze Zusammenfassung. Der Schreibstil ist einfach, klar, damit gut lesbar und auch gut nachvollziehbar. Man wird direkt, stets sehr wertschätzend, angesprochen und zur Reflexion angeregt. Ich konnte mich hier gut wiederfinden.

Nun zu meinen Kritikpunkten: Das Artgerecht-Konzept überzeugt mich an sich nicht so ganz, auch stört mich der Begriff, der aus dem Tierreich kommt und im Unterschied zu diesen, ist der Mensch einfach weitaus flexibler.

Dem Ganzen haftet zudem ein ideologischer Hauch an. So erhofft die Autorin einen besseren Menschen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Das geht mir etwas zu weit. Auch zeigt sie zwar die ungünstigen Bedingungen der Moderne auf, wagt aber nicht, das gesellschaftliche System wirklich klar zu kritisieren. Stattdessen verbleibt sie im privaten, wo es dann letztendlich "nur" darum geht, die eigene Selbstfürsorge zu wahren. Für Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern, und Anderen in existenziellen Nöten, ist des zwar notwendig, reicht aber nicht. Hier sind politische Veränderungen notwendig.

Letztendlich fehlt mir noch die klare Definition von Schimpfen. So drängte sich der Eindruck etwas auf, dass schon die etwas erhobene Stimme dem Kind Schaden zufügen könne.

Ich habe noch einige Kritikpunkte mehr, aber, das zeigt eigentlich nur, dass mich das Buch wirklich zum Nachdenken angeregt hat. Und ich muss auch nicht in jeder Hinsicht der gleichen Meinung sein. Das Buch war und ist sehr wertvoll für mich. Es ist wertschätzend und letztendlich nicht direktiv geschrieben und verhalf mir, über den eigenen gewünschten Erziehungstil klarzuwerden sowie meine Perspektive zu verändern. Es erklärte mir einige wesentliche Dinge, zeigte mir, dass ich in meinem Dilemma nicht allein bin und gab mir absolut praxistaugliche Tipps an die Hand.

Daher: Klare Leseempfehlung für Familien mit (kleinen) Kindern!