Rezension

Sehr gut

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen
von Heike Vullriede

Bewertet mit 3.5 Sternen

Wie es ist, Hilfe zu benötigen, erleben Menschen in mehr oder weniger anerkannter Weise in Form einer Pflegestufe. Der Staat unterstützt sie. Wie ergeht es aber denen, die sich bloße Unterstützung innerhalb der eigenen vier Wände, innerhalb der jahrelang gehegten Freundschaften oder der Familie, innerhalb des eigenen Geflechts, erhoffen?

 

Wer ist der wirkliche Freund, wer der, dem man selbst nur als Mittel zum Zweck dient? Woran merkt man es und warum fällt es uns oft zu spät auf, wem man wirklich wichtig ist?

Marvin steht mitten im Leben als ihn eine Nachricht plötzlich ereilt: Er bekommt die Diagnose einer tödlichen Krankheit. Glioblastom. Plötzlich sieht sich der, zur Zeit im Trenungsjahr lebende Mann, einer schwierigen Situation ausgesetzt, der er anfangs noch optimistisch entegegensieht, wohlwissend, familiär bedingt guten Rückhalt zu haben.

Doch das lässt nach.

Kaum ein Mensch interessiert sich noch für ihn als Person, als Mensch, der leidet und dem das Desinteresse noch viel unglaublicher erscheint als dem Leser. Dies wird so realistisch dargestellt und geboten, das Marvin einem nur noch leid tun kann.

 

Es gibt in Vullriedes Werk sämtliche Formen der Einsamkeit, sämtliche Tücken der Manipulation und der menschlichen Schauspielkunst. Erschreckend ernst, glaubwürdig und sehr bildhaft und teilweise umgangssprachlich hat es Vullriede auf den Punkt gebracht: Es gibt nur wenig gute Freunde und je früher man diese erkennt, umso bedeutsamer weiß man sämtliche Momente mit diesen Menschen zu schätzen.

 

Kaum Schachtelsätze sind vorhanden, klare offene Worte sind verwendet worden und geben dem Leser so mehr denn je das Gefühl von Realität. Figuren mit Ecken und Kanten sind gezeichnet worden, ein Geflecht aus Worten und Leben ist entstanden, auf das die Autorin nur stolz sein kann.

 

Ein sehr bewegendes Buch ist es - „Der Tod kann mich nicht mehr überraschen“. In der Tat – auch mich als Leser kann er kaum noch überraschen, denn nicht das Sterben ist das Schlimmste, sondern nur die Vorstellung an sich.