Rezension

Sehr gut recherchiert und spannend

Kinder des Aufbruchs -

Kinder des Aufbruchs
von Claire Winter

Bewertet mit 5 Sternen

Mitten hinein in die 1960-er Jahre...

Ich hatte von Claire Winter bereits den Vorgängerband dieses Buches („Kinder ihrer Zeit“) sehr gern gelesen und freute mich nun darauf, zu erfahren, wie es mit den Zwillingsschwestern Emma und Alice weitergehen würde. Es ist zwar eine Fortsetzung, aber ich bin mir sicher, dass man „Kinder des Aufbruchs“ auch ohne Vorkenntnisse lesen kann, da die Autorin immer wieder kleine Rückspiegelungen vornimmt...

Und Claire Winter „schubst“ uns sofort in das Jahr 1967, in das quirlige und hochpolitische Berlin: Studenten sind nicht mehr gewillt, den „Muff von 1.000 Jahren unter den Talaren“ zu akzeptieren, sie stellen „das Establishment“ in Frage...In dieser schon aufgeheizten Stimmung besucht Shah Reza Pahlavi am 2.6.1967 Berlin (Wikipedia bezeichnet es als ein einschneidendes Ereignis in der bundesdeutschen Geschichte).

Emma und Alice leben jetzt mit ihren Ehemännern Julius und Max in West-Berlin (Alice und Max mit der gemeinsamen Tochter Lisa). Alice ist als Journalistin für eine Tageszeitung mitten im Geschehen, sie hat über die Unruhen während des Schah-Besuchs geschrieben und berichtet auch über den Tod von Benno Ohnesorg. Emma arbeitet weiterhin als Dolmetscherin und übersetzt häufiger auch vertrauliche Gespräche zwischen hochrangigen Politikern. Julius ist Professor und Max hat sich als Anwalt auf die Entschädigung von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus spezialisiert.

Also: durch die Protagonisten erleben wir diese Zeit hautnah mit, manchmal hatte ich das Gefühl, selbst dabei zu sein...

Aber so richtig „rund“ läuft es gerade nicht im Privatleben unserer Hauptfiguren: Emma leidet stark unter den Folgen einer Fehlgeburt und fühlt sich von Julius nicht verstanden, Alice und Max leben eigentlich nur wegen ihrer gemeinsamen Tochter „pro forma“ als Familie zusammen, so richtig glücklich sind aber beide über das „Arrangement“ nicht... Als Alice dann ihre Jugendfreundin Irma in West-Berlin wieder trifft, regt sich sofort ihr Misstrauen: hat Irma bei der Stasi unterschrieben, um sie, Alice, auszuspionieren oder gar schlimmer: will sie Stasi sie erneut entführen? Aber Alice ist bereits längst im Visier der Stasi... Und wegen eines „Freundschaftsdienstes“ gerät Max in das Getriebe zwischen BND und Stasi... Aber auch Alice und Julius habe ihre – nicht ungefährlichen – Geheimnisse! Teilweise konnte ich das Buch vor lauter Spannung kaum aus der Hand legen und musste schnell „nur noch ein Kapitel“ weiterlesen... Mein Schönheitsschlaf hat erheblich gelitten…

Dies ist dem großartigen und mitreißenden Schreibstil der Autorin zu verdanken, ihrer authentischen Beschreibung der einzelnen Personen, deren Gedanken und Handlungen ich meist nachvollziehen konnte (klar, mit der „Gnade der späten Geburt“ ahnte ich an manchen Stellen das Ergebnis...). Aber fasziniert hat mich auch immer wieder, wie geschickt Frau Winter die historisch belegten Ereignisse mit ihren fiktiven Personen zusammenbringt: so werden z.B. Emma und Alice durch Zufall Augenzeuginnen des Attentats auf Rudi Dutschke im April 1968... Denn eine weitere hervorragende Leistung ist die umfang- und kenntnisreiche Recherchearbeit, die von der Autorin geleistet wurde. Ein Nachwort ergänzt das Buch perfekt.

Alles in Allem: ein fesselndes, mitreißendes und facettenreiches Buch, dass ich ohne irgendeine Einschränkung einfach weiterempfehlen muss – ich selbst habe es bereits als Weihnachtsgesteck eingeplant!