Rezension

Sehr gute 4 Sterne - der 7. Band kann mich nicht völlig überzeugen

Marlow - Volker Kutscher

Marlow
von Volker Kutscher

Bewertet mit 4 Sternen

Seit dem letzten Band um Gereon und Charly Rath und ihren Pflegesohn Fritz ist inzwischen ein Jahr vergangen. Im Berlin des Jahres 1935 kommen Fahrer und Fahrgast eines Taxis ums Leben, als das Fahrzeug ungebremst in eine Mauer rast. Im Taxi werden höchst geheime Akten gefunden, und zur Verwunderung der Ermittler hat der unbekannte Fahrgast seine SS-Uniform in einem Schließfach zurückgelassen, ehe er in Zivil einer Frau einen Heiratsantrag machen wollte. Gereon Rath von der zentralen Mordinspektion steckt an der Unfallstelle spontan die Akten ein, frankiert sie später und versendet sie an den vorgesehenen Empfänger.

Im Privatleben der Raths leidet Charly noch immer darunter, dass sie ihr Referendariat als Anwältin abbrechen musste, weil im Nationalsozialismus für Frauen eine andere Rolle vorgesehen ist. Raths Ehefrau arbeitet nun halbtags als Anwaltssekretärin bei Blum und Scherer und stundenweise als Privatdetektivin für Gereons Ex-Chef Böhm. Dafür hätte sie ihre Karriere bei der Berliner Polizei nicht aufgeben müssen. Pflegesohn Fritz (Fritze), ehemaliges Straßenkind und im vorhergehenden Band 13 Jahre alt, geht völlig in der Gemeinschaft der Hitlerjugend auf und bereitet sich auf die Wanderung der HJ zum Reichsparteitag in Nürnberg vor. Der Vater seines besten Freundes setzt alles daran, den Jungen den Wert der Kameradschaft und der freien Natur näherzubringen. Charly sieht Fritzes Begeisterung für den Nationalsozialismus voller Sorge, Gereon dagegen nimmt das Problem auf die leichte Schulter. Auf die Auseinandersetzung mit einem Pubertierenden scheinen beide nicht vorbereitet zu sein.

Gereon hat sich unter den neuen Herren bisher noch durchmogeln können, ohne in die Partei einzutreten – fragt sich nur, wie lange noch. Bei der Kripo sieht sich Gereon damit konfrontiert, dass erfahrene jüdische Kollegen - wie der vertraute Gerichtsmediziner - zur Kündigung genötigt werden und der Nachwuchs außer einem Parteibuch nur geringe Qualifikationen mitbringt. Gereon selbst zeigt sich verärgert, dass er als Nicht-PM nur unspektakuläre Fälle wie den Taxi-Unfall zugeteilt bekommt. Er wird allerdings hellhörig, als Böhm von einem alten Fall berichtet mit verblüffenden Verbindungen zu den aktuellen Ereignissen. Für Böhm scheint diese längst geschlossene Akte ein „nasser Fisch“ zu sein, ein ungelöster Altfall. Gereon kann nicht ahnen, dass Böhms alter Fall auch Charlys verstorbenen Vater betrifft, über den sie ihm kaum etwas erzählt hat.

In einem weiteren Handlungsfaden bringt ein mecklenburgischer Gutsbesitzer 1918 eine Chinesin und ihr Kind aus Tsingtau mit nach Deutschland zurück und bringt beide im Dienstboten-Quartier des Gutes unter. Die ungewöhnlichen Ereignisse sind Auslöser einer verblüffenden Verbindung, die Rath Jahre später erst durchschauen wird.

Seit „Der nasse Fisch“, der 1929 spielt, hat Volker Kutschers Serie historischer Krimis Kultstatus entwickelt. Einen Zugezogenen aus Köln in Berlin ermitteln zu lassen, erwies sich dabei als höchst geschickt; denn von ihm wird niemand erwarten, dass er sich wie ein waschechter Berliner verhält. Neben Kutschers interessanten Schauplätzen fesselt mich besonders Raths Widersprüchlichkeit und Egozentrik. Als Staatsdiener erwartet er selbstverständlich, dass die Bürger der Polizei zu Diensten stehen, als Pflegevater eines Jugendlichen dagegen fühlt das Ehepaar Rath sich von der Fürsorgerin des Jugendamts unnötig drangsaliert. Gespannt bin ich, ob Rath in einem weiteren Band noch einsehen wird, dass normale Werktätige längst wirklich Not leiden, während sein Klagen, er müsse jeden Pfennig umdrehen, in seiner Position Jammern auf hohem Niveau ist.

Kutschers Plot vor authentischer Kulisse und mit populären Figuren der Zeitgeschichte ist mit mehreren Schauplätzen und Zeitebenen gewohnt komplex, könnte an einigen Stellen jedoch gestrafft werden. Sprachlich finde ich Kutschers siebten Band nicht herausragend. Anstatt die Innenwelt seiner Figuren angesichts der Herrschaft der Nationalsozialisten überzeugend zu beschreiben, zieht er sich als Erzähler zu oft und in zu abfälligem Ton mit dem Etikettieren durch Adjektive aus der Affäre. Detailreichtum ist hier leider kein Garant für Authentizität. Charlys Fotografieren und Entwickeln im Dienst der Detektei wäre besser gestrichen worden, wenn weder Autor noch Lektorat etwas davon verstehen. Das Hinwerfen einiger fachkundig klingender Verben genügt mir hier nicht.