Rezension

sehr gutes Konzept aber die Charaktere waren zum Teil nicht mein Fall

Wer war Alice
von T. R. Richmond

Bewertet mit 3 Sternen

Alice Salmon ist eine junge Frau, die viel Mist baut in ihrem Leben aber die auch Menschen um sich herum hat, die sie lieben. Sie neigt dazu sich selbst zu zerstören - sei es mit negativen Gedanken wie Selbstzweifeln, mit kaputten Liebesbeziehungen oder mit viel zu vielen Drogen, allen voran dem Alkohol. 
Doch trotz all den selbstzerstörerischen Faktoren in ihrem Leben hat Alice auch einige Dinge die sie mag um sich. Sie ist leidenschaftliche Journalistin, hat eine fürsorgliche Familie und einen Freund, mit dem sie sich eine Zukunft vorstellen kann. Doch all das löst sich in nur einer Nacht in Wohlgefallen auf denn Alice kommt ums Leben. Von dem Tag an versucht ihr ehemaliger Professor Jeremy Cooke geradezu zwanghaft, Alice' letzte Stunden zu rekonstruieren. Er will herausfinden was Alice dazu gebracht hat von einer Brücke in einen Fluss zu springen und sich das Leben zu nehmen. Oder war es womöglich gar kein Selbstmord und es steckt etwas ganz anderes dahinter?

"Wer ist Alice?" ist nicht aufgebaut wie ein "normaler" Roman, wie man sie so kennt. Er ist vielmehr in der umgedrehten Reihenfolge aufgebaut denn es wird nicht erzählt was in Alice' Leben passiert und sie stirbt am Ende, sondern ihr Tod steht am Anfang des Buchs und die Rekonstruktion folgt darauf. 

Die entscheidende Schlüsselfigur in der Recherche rund um Alice spielt der Professor Jeremy Cooke, der zudem eine enge Verbindung zu Alice' Mutter hat. In Briefen zwischen Cooke und seinem Brieffreund Larry erfahren wir viel über die Beziehungsverpflechtungen und wir lernen nicht nur Alice sondern auch ihr Umfeld gut kennen. Allerdings lernen wir Alice' Mutter Liz fast nur aus Jeremys Sicht kennen, was ich etwas schade fand da sie dadurch doch sehr eindimensional wirkt auch wenn ich denke, dass bei diesem Charakter noch viel mehr Tiefgang möglich gewesen wäre. Über Alice' Vater und Bruder erfahren wir fast nichts, dafür werden aber ihr Freund Luke und eine Ex Affäre sehr gut beleuchtet und auch ihre beste Freundin Megan kommt zu Wort. 

"Alice und ich werden nur noch in einem Atemzug genannt. Wir sind jeweils zu einer Fußnote im Leben des anderen geworden. Aber das wären wir sowieso immer gewesen."
- Seite 32

Die Briefe zwischen Cooke und seinem Freund werden zwischendurch abgelöst von Polizei Protokollen, Chat-Verläufen, Tagebucheinträgen von Alice und noch mehr. Alles darauf ausgerichtet am Ende ein Gesamtbild zu erhalten. 

Das ganze Konstrukt dieses Buchs gefällt mir sehr gut und ich würde es auch als gelungen ansehen. Leider muss ich aber sagen, dass mir Cooke, der ja einen massiven Anteil des Buchs einnimmt, überhaupt nicht sympathisch war. Seine Besessenheit von Alice kann ich nicht ganz nachvollziehen und sie erscheint mir leider zu konstruiert. Viel eher hätte ich die Besessenheit von anderen Protagonisten erwartet und der Professor passt da für mich nicht so ganz in das Puzzle dieses Buchs. Mag sein, dass das vom Autor erwünscht war, mein Lesevergnügen hat es aber etwas geschmälert. 

"Du bist nur einmal jung, das Leben ist wie Scrabble spielen, man darf seine guten Buchstaben nicht bunkern, man muss sie einsetzen, sobald man sie zieht." - Seite 188

Auch mit Alice konnte ich nicht so viel anfangen. Ihr exzessives Verhalten in Bezug auf Drogen und Alkohol überschattet alle anderen ihrer Charakterzüge und ich konnte mich nur an wenigen Stellen mit ihr identifizieren. Diese beiden Punkte bringen mich dazu zwei Sterne abzuziehen, auch wenn das Buch an sich ein gutes war und mir das Konzept sehr gefällt. Alternative Schreibformen wie in "Wer war Alice" finde ich sehr spannend und auch gut geeignet für dieses Buch. In der Umsetzung konnte es mich aber leider nicht zu 100 Prozent überzeugen. 

"Aber sollte man nicht nach dem beurteilt werden, wie man sich typischerweise verhält, nach dem Menschen, der man über die Jahre tagaus, tagein ist, anstatt nach dem Besten oder dem Schlechtesten, was man im Leben getan hat? Wäre das nicht ein gerechteres Barometer des Lebens, das man gelebt hat, des Menschen, der man gewesen ist?" - Seite 305

Positiv hervorheben möchte ich aber auf jeden Fall noch die Darstellung der Medien in diesem Buch. Sehr gut lässt sich nachvollziehen welche Aussagen von den Medien aus dem Kontext gehoben und zerrissen werden und wie Menschen ganz einfach zur Zielscheibe werden können ohne etwas verbrochen zu haben.

Im Gesamten vergebe ich für "Wer war Alice" 3 von 5 Sternen.