Rezension

Sehr nachdenklich machend!

Die andere Seite des Schmerzes - Ruth Eder

Die andere Seite des Schmerzes
von Ruth Eder

Bewertet mit 5 Sternen

Eine Zeitreise in die "Flower-Power"-Zeit...

Zurück in eine Zeit, bei der ich zumindest die Endphase selbst miterlebt habe...Erinnerungen an Mini-Röcke, die kürzer kaum sein konnten, an Hippie-Kleider, an bestimmte Songs (z.B. San Francisco oder Monday, Monday), an den ersten Kuss – ja, das war alles auf einmal wieder sehr präsent...

Ruth Eder hat mich mit ihrem Roman „Die andere Seite des Schmerzes“ geradewegs in diese Ära katapultiert – aber sie hat damit noch mehr bewirkt: ich habe mich mit dem Posttraumatischen Belastungssyndrom junger Männer, die im Vietnam-Krieg waren (stellvertretend für alle Kriege, in die junge Männer – heute auch junge Frauen - „geschickt“ werden) auseinandergesetzt UND mit dem "Mitleiden" von deren Angehörigen, die die schrecklichen Erinnerungen an diese Kriegserlebnisse „aushalten“ müssen.

1967: Judith ist knapp 20 Jahre, sie kommt aus einem süddeutschen gutbürgerlichen, wohlsituierten Elternhaus, ihr Leben hat sich (fast) nur zwischen Tennisplatz und Golfclub abgespielt. Don ist 28 Jahre, US-Amerikaner, wird zum Hubschrauberpiloten ausgebildet und wird ein Jahr in Vietnam stationiert werden. Sein Elternhaus ist eher eine „Ansammlung mehr oder weniger Gestrandeter“ (S. 46). Seine Familie wird zum größten Teil von einem reichen Großvater aus Boston finanziert, Alkohol und Tabletten gehören fast zu den Grundnahrungsmitteln der Familie.

Und es kommt, wie es kommen muss: es macht sehr kräftig „Zummm“: Judith und Don verlieben sich Hals über Kopf ganz heftig ineinander, sehen die Welt nur noch rosarot und heiraten überstürzt.

Don kehrt nach einem Jahr schwerst traumatisiert aus Vietnam zurück, Judith und Don bemühen sich beide, an ihrer Liebe und ihrer Beziehung festzuhalten, dies gelingt ihnen mal mehr, mal weniger... Soweit zur Handlung...

Als Leserin habe ich intensiv an Judiths Entwicklung vom verwöhnten, naiven Bürgermädchen zur selbstbewussten, emanzipierten „erwachsenen“ Frau teilgenommen, die klar ihren Weg findet, sich aber ihre Entscheidungen nicht leicht macht, sondern (meist) wohlüberlegt handelt. Zwar konnte ich nicht jeden ihrer Schritte nachvollziehen, aber das muss ich ja auch nicht... Don zerbricht an seinen Erlebnissen in Vietnam und flüchtet sich – wie im Elternhaus gelernt – in Alkohol und Drogen. Für sein Trauma an sich hatte ich volles Verständnis (hier ein Lob an die Autorin: die Szenen aus Vietnam waren zwar sehr hart, aber in diesem Kontext absolut passend! Die Recherchen dazu werden sicherlich nicht einfach gewesen sein!), aber absolut kein Verständnis hatte ich, dass er als „echt harter Mann“ keine psychologische /psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen will / möchte, bzw. mehr noch: er sie grundsätzlich und vehement ablehnt (während des Lesens fiel mir ein Interview mit einem Psychiater der Bundeswehr ein: auch heute noch empfinden es viele deutsche Soldaten, die in Afghanistan gewesen sind, als „unmännlich“ sich wegen ihres Posttraumatischen Belastungssyndroms behandeln zu lassen!). Don denkt: „Er war doch kein Weichei! A Chicken! ...Er würde sich bestimmt nicht lächerlich machen vor seinen überlebenden Kameraden und sich bei einem Psychiater ausheulen. Kein Wunder, dass man diese Typen bei uns daheim SHRINKS nannte...“ (S. 185 /186)

Doch, das Buch von Ruth Eder hat mich wirklich sehr nachdenklich zurückgelassen, es ist kein einfaches „Wohlfühlbuch“, auch im Nachhinein hallt es noch nach... Ein Buch ohne „Schwarz-Weiß-Malerei“, es beschreibt eher unterschiedliche „Grauzonen“. Die Auseinandersetzung mit diesen „Grauzonen“ habe ich als sehr bereichernd empfunden und kann deshalb dieses Buch nur weiterempfehlen!