Rezension

Sehr unterhaltsam und empathisch, jedoch nicht ohne Klischees

Long Bright River - Liz Moore

Long Bright River
von Liz Moore

Bewertet mit 4 Sternen

Alle Figuren sind böse und gleichzeitig gut

„Ich wollte, dass alles so blieb wie es war. Ich fürchtete die Wahrheit mehr als die Lüge. Die Wahrheit würde die Umstände meines Lebens verändern. Die Lüge war statisch. Die Lüge war friedlich. Ich war mit der Lüge zufrieden.“

Inhalt

Mickey Fitzpatrick arbeitet bei der Sitte in Philadelphia, in ihrem Bezirk Kensington wimmelt es nur so von Dealern, Prostituierten und Gewalttaten auf offener Straße. Ihre Schwester Kacey, ist selbst eine der Frauen, die am Straßenrand steht und auf irgendeinen Freier wartet, um sich den dringend benötigten nächsten Schuss setzen zu können. Und Mickey, die zwar seit 5 Jahren kein Wort mehr mit ihrer kleinen Schwester gewechselt hat, behält sie dennoch im Auge. Als eine Mordserie an jungen Prostituierten die Gegend erschüttert, kommt sie als Polizistin nicht drum herum sich mit den Opfern abzugeben und voller Sorge an jeden neuen Tatort zu fahren, immer in der Erwartung dort auf Kaceys Leiche zu treffen.

 Mickey mobilisiert ihr gesamtes privates Umfeld und einige wenige Kollegen, denen sie vertraut, um einen Hinweis auf Kaceys Verbleib zu erhalten. Doch bald schon merkt sie, dass sie auf eine Mauer des Schweigens trifft – denn andere scheinen bewusst Informationen vor ihr zu verbergen, damit sie ihrer Schwester nicht zu nahekommt. Denn schon einmal hat Mickey etwas von Kacey genommen, um es zu retten und es damit für ihre drogenabhängige Schwester unerreichbar werden zu lassen und nun steckt die junge, hilfsbedürftige Frau in einer ganz ähnlichen Situation …

Meinung

Die in Philadelphia wohnhafte Autorin Liz Moore schafft mit ihrem vierten Roman ein authentisches Porträt einer zerrütteten Stadt, vieler am Rande der gesellschaftlichen Anerkennung lebenden Menschen und zweier Frauen, die unter schwierigen Umständen groß geworden sind und sich doch vollkommen unterschiedlich entwickelt haben. Dieses Buch stand schon längere Zeit auf meiner Wunschliste, weil die Lesermeinungen dazu durchweg positiv waren und ich mir einen bewegenden Familienroman über zwei Schwestern vorstellen konnte, denen das Leben diverse Steine in den Weg gelegt hat. Und gerade der Mix aus Gesellschaftskritik, persönlicher Lebensgeschichte und Kriminalhandlung macht tatsächlich den Reiz des Buches aus und lässt den Leser tief hineinschauen in ein Szenario, dem man im echten Leben möglichst fernbleiben möchte. 

Zunächst ist es genau dieser Handlungsschwerpunkt, der mich nicht so ganz in den Roman hineinziehen konnte, weil mich die Berührungspunkte mit dem Leben der Drogenabhängigen und Straßenkinder generell etwas befremdet haben und stellenweise schockierend ehrlich aber gleichermaßen unvorstellbar auf mich wirkten. Die sich ständig wiederholende Schleife aus Drogenkonsum, Entziehungskuren, Zeiten der Abstinenz und dem erneuten Rückfall und das gleich in geballter Ladung, weil es sich hier nicht um Einzelschicksale, sondern um gesellschaftliche Brennpunkte handelt, erscheint mir dramatisch und unverständlich zugleich. 

Doch die Autorin legt ihr Augenmerk nicht auf die Rahmenhandlung sondern lässt Mickey, die Hauptprotagonistin ganz nebenbei aus ihrem Leben als Polizistin erzählen, von ihrer Kindheit, in der sie selbst eine drogenabhängige, jung verstorbene Mutter und einen abwesenden Vater hatte, in der sie miterleben musste, wie ihre Schwester mit der Pubertät in die Drogenspirale geriet, in der sie trotz guter Noten nie die Chance bekam, etwas wirklich bedeutendes aus ihrem Leben zu machen und in der ihre erste große Liebe ein verheirateter Mann war, der ihre Schwester geschwängert hat. Diese Blicke in die Vergangenheit in Kombination mit der Gegenwartshandlung lassen diesen Roman so lebendig und spannend wirken, sie sind ein regelrechtes Feuerwerk an Unterhaltungskunst und machen eine doch eher traurige Normalität zu einer ganz besonderen Erzählung.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen sozialkritischen Unterhaltungsroman, der mehrere Lebensgeschichten gekonnt miteinander verknüpft und ganz nebenbei eine spannende Kriminalhandlung aufgreift, in der eine ambitionierte Polizistin versucht einem Frauenmörder das Handwerk zu legen, bevor ihre eigene Schwester in dessen Hände gerät.

 Doch die Thematik generell ist viel weiter gefasst als man vermuten möchte, denn es geht auch um Selbstbestimmung, um Benachteiligung, um gescheiterte Lebensentwürfe und große Gesten. Es geht um starke Frauen, die kämpfen müssen, um sich ihren Platz zu verdienen und die im richtigen Moment zurücktreten, um andere schützen zu können. Ebenso vielfältig wie die Handlung sind auch die Charaktere – man baut trotz der immer wieder anklingenden Klischees und Vorurteile eine emotionale Bindung zu ihnen auf und folgt begeistert ihren Wegen. Ein sehr lesenswerter Roman, der zwar nicht alle meine Erwartungen erfüllen konnte, mich aber in seiner Gesamtheit überzeugt hat.