Rezension

Sein letzter Trick

Da sind wir
von Graham Swift

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist 1959 in Brighton by the Sea. Jack, Robbins, der flinke Jack, ist Conférencier in einem kleinen Theater am Pier. Er liebt das Publikum und das Publikum liebt ihn. Aber am meisten lieben die Leute den zauberhaften Auftritt des „Großen Pablo“, den Magier mit seiner charmanten Assistentin Eve, der mit seinen Tricks den krönenden Abschluss des Abends liefert. Im wirklichen Leben heißt Pablo Ronnie Dean und die bezaubernde Eve ist schlicht Evie White. Und Ronnie liebt Evie, bis das wirkliche Leben zwischen die beiden gerät und Evie eine Affäre mit Jack beginnt und Ronnie einfach verschwindet….

„Da sind wir“ ist der wunderbare und einzigartige neueste Auftritt des großen Graham Swift. Es ist eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Verlust und Magie. Von großen Auftritten, doppelten Böden, Tricks, Illusionen und letzten Vorhängen.…

„Da sind wir.“ Here we are“ im Originaltitel. „Da wären wir“, „sodala“ oder wie wir in Wien sagen würden: “Na ois dann!“ Bietet schon der Titel dieses Buches einen enormen Interpretationsspielraum, ist der gesamte Roman des britischen Schriftstellers Graham Swift ein wahrer Zauberhut an magischen Spielereien, Tricks und Illusionen. Lässt sich der Titel schon nicht eins zu eins in die deutsche Sprache übersetzten, findet sich ein ähnliches Moment beim „flinken Jack“ wieder. Swift wählt die Namen seines Personals nicht zufällig. Und weil ich so an Namen hänge: Es ließ mir keine Ruhe mit "Flinker Jack": Ich habe recherchiert. So lautet es im Original Text“....Jack Robbins, later to be known as "Jack Robinson" (wird im deutschen Text als "Flinker Jack" übersetzt....)

Nun, wer ist "Jack Robinson": a figure of speech, a phrase. Multiple citations explain references to Jack Robinson as meaning quickness of thought or deed. The normal usage is, "(something is done) faster than you can say Jack Robinson", or otherwise, "before you can say Jack Robinson"

Ich neige sogar dazu, dem Autor zu unterstellen, dass er „Evie White“ ganz gezielt gewählt hat: Die erste Frau der Geschichte, die verführt wird und verführt hat mit der Farbe der Unschuld zu versehen.

Nur  der „Große Pablo“ ist Ronnie, Ronnie Dean. Ronnies Geschichte beginnt in einfachen Verhältnissen. Der Vater bei der Handelsmarine, die Mutter hatte spanisches Blut, daher auch der Künstlername Pablo. Doch Pablo war auch Ronnies erster Freund, sein Papagei. Fragte man den Vogel „Wo ist Pablo?“ antworte dieser „Hier ist Pablo“. Pablo wurde von Ronnies Mutter verkauft. „Entflogen“ antwortete sie, als Ronnies Vater sich nach Pablos Verbleib erkundigte. Papageien (ein solcher findet sich auch auf dem Cover des Buches wieder) können sehr alt werden. Doch sie können auch entfliegen, verschwinden. So wie Ronnie, der Große Pablo, Jahre später. Während des Krieges wurde Ronnie aus London evakuiert, kam zu Pflegeeltern. Sein Ziehvater lehrte ihn das Zaubern.  "Doch dann war der Krieg vorbei und dieses - wie sollte man es nennen? verzauberte Leben musste nicht nur ein Ende haben, es lief sogar wieder in die Gegenrichtung."

Krieg als Zeit des Schreckens für die Allgemeinheit. Für das Kind Ronnie eine wunderbare Zeit, weil er bei den Pflegeeltern wohl behütet, geliebt, unterstützt, gefördert wurde. Die Zeit nach dem Krieg, ein Aufatmen, eine Erleichterung für alle, für Ronnie ein Zurückkehren in die Armut, Beengtheit, zu der Mutter, die sein Leben nicht versteht. "Zauberer, Ronnie. Was soll der Mist verdammt?"

Und nach dem Krieg, als die Schrecken verblassen, die Menschen Ablenkung in der Unterhaltung finden, reüssieren der Entertainer Jack Robbin(son), der Große Pablo in der aus heutiger Sicht verstaubten Atmosphäre des Sommertheaters am Pier von Brighton.

Nur Vordergründig ist Swifts Roman die Geschichte einer Dreiecksbeziehung. Es ist vor allem ein Vexierspiegel, in den wir schauen und ein anderes Bild sehen als erwartet. „Alle Menschen arbeiten mit Tricks“, sagt Ronnie “Aber Magier - er sagte das nicht zum ersten Mal – arbeiten mit Illusionen.“

Zauberei, Magie, Tricks, Illusionen, auf den ersten Blick alles ähnlich. Was ist für mich der Unterschied zwischen Tricks und Illusion. Tricks haben entweder etwas Spaßiges oder auch Gemeines, Betrügerisches an sich. Eine Illusion hat für auch viel mit Wünschen Träumen, etwas Schönem an sich. Aber ich glaube der größte Unterschied liegt darin: Bei einem Trick wird mir etwas vorgemacht, bei einer Illusion mache ich mir selbst etwas vor.

Ronnies Verschwinden ist sein letzter Trick. Und um den großartigen Mark Knopfler von Dire Straits zu zitieren:
"I don't know how it happened
It all took place so quick
But all I can do is hand it to you
And your latest trick"

Sodala, na ois dann.