Rezension

Selbsterfahrung in 7 Todsünden

Sieben Nächte
von Simon Strauß

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Sieben Nächte“ von Simon Strauss ist ein Buch, das sich zwischen Roman, Essay und Selbstversuch bewegt. Ebenso wie der Autor, ist der Protagonist, der als Ich-Erzähler unter dem Namen S. in Erscheinung tritt, neunundzwanzig Jahre alt. Er sieht sich als Teil einer privilegierten Generation, die behütet und scheinbar glücklich aufwuchs, sich allerdings niemals etwas erkämpfen musste.

„Davor, später nur auf graue, gerade Linien zurückzuschauen, habe ich Angst. Dass mir die Gefühle abhanden kommen, sich Gewohnheit einstellt. Vor der trockenen Sicherheit, dem Kniefall vor der Konvention. Nie geschrien zu haben, immer nur kleinlaut geblieben zu sein, davor fürchte ich mich.“ (S. 14)

Kurz vor dem 30. Geburtstag zieht er ein Resümee seines bisherigen Lebens. Er hat das Gefühl, bisher nicht richtig gelebt zu haben und nun an der Schwelle des für ihn endgültigen Erwachsenwerdens nicht mehr nur gefallen zu wollen und ins Gesellschaftsbild zu passen, sondern seinen wirklich eigenen Lebensweg zu finden zu wollen.

„Dann habe ich ein Angebot bekommen. Einer, den ich kaum kannte, dem ich vor Kurzem begegnet bin, hat mit mir einen Pakt geschlossen. Er wolle mich führen, hat er gesagt, dorthin, wohin es mich drängt. […] Er blickte mich an, führte mich in Versuchung. Und am Ende, nachdem ich ganz aus mir heraus gesprochen hatte, sagte er mit einem Zucken um seinen Mund, er wisse genau, was mir fehle. Und er kenne den Weg dorthin. Immer um sieben Uhr abends würde er sich melden und mich auf einen Streifzug schicken durch die Stadt. Immer würde ich einer Sünde begegnen, einer der sieben Todsünden. ‚Auf dass du eine findest, in der du dich wohlfühlst. Oder dich für immer von ihnen abkehrst‘, hat er gesagt. […] Ich werde eingehen auf seinen Vorschlag: Werde gierig, hochmütig und faul sein, neiden und wüten, Völlerei und Wollust treiben. Sieben Nachtschichten einlegen, um der drohenden Zukunft noch einmal zu entkommen.“ (S. 18/19)

Und so erledigt er gewissenhaft die sieben Todsünden in sieben Nächten und schreibt anschließend seine Gedanken nieder. In ihnen steckt Mut, Sehnsucht und Angst. Aber auch Gesellschaftskritik und Generationskonflikte. Ein ums andere Mal pflichtete ich dem Gelesenen bei und konnte mich mit den Gedankengängen identifizieren oder sie zumindest nachvollziehen. Da ich jedoch vom Alter her zur Elterngeneration des Autors und seines Protagonisten S. zähle, liegt allerdings genau darin auch ein Problem, weil die Reibungswärme des Kampfes und daraus resultierenden möglichen Erfolgen wachsende Selbstvertrauen entfällt, wenn man zu leicht auf Verständnis und gleiche Meinungen trifft. Es gibt in diesem Buch viel Stoff zum Nachdenken, auch wenn man die dreißig bereits deutlich überschritten hat.

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen und konnte mich durch die kraftvollen sprachlichen Bilder mitreißen. Und doch ist dieses knapp 144 Seiten schlanke Buch keines, das sich einfach weglesen lässt. Es beeindruckt und wirkt nach, auch wenn S. „Kinderfragen gestellt hat und nach Sinn und Sagbarem gesucht und Umrisse in den Sand gezeichnet hat“. Empfehlenswert!