Rezension

Sensibles Jugenddrama, das nicht alle Fragen zwingend beantworten muss

Du bist das Gegenteil von allem - Carmen Rodrigues

Du bist das Gegenteil von allem
von Carmen Rodrigues

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ihre beste Freundin ist gestorben und nichts mehr so, wie es früher einmal war. Denn der charismatische Teenager verkörperte so vieles, nicht nur für sie, sondern für alle in ihrem Umfeld. Und zurück bleibt nur ein Schuhkarton voller Notizzettel.

Es sollte ein gemeinsames Experiment werden, doch Sarah hat überlebt und weiß nicht, wie sie mit dieser Tatsache umgehen soll. Was hat Ellie nur dazu getrieben, die Sache mit den Tabletten auszuprobieren? Weshalb hat sie immer wieder rebelliert und sich dann von allen zurückgezogen?
Dieselben Fragen stellt sich auch Ellies Bruder Jake, der sich zudem Vorwürfe macht, nicht für sie da gewesen zu sein, als sie ihn am meisten brauchte. Dabei wusste er doch immer, welches dunkle Geheimnis sie mit sich herumtrug.
Und schließlich ist da noch Jess, Sarahs kleine Schwester, für die die Tote etwas ganz besonderes war und für die der Verlust am unbegreiflichsten ist.
 

 

Ab und zu lese ich wirklich gerne Jugenddramen, vor allem wenn sich die Autoren an sensible Themen herantrauen. Diese Umsetzung halte ich für wirklich gelungen, trotz ein paar kleiner Schwächen.
Was die Figuren anbelangt, so beweist Carmen Rodrigues ihre Sensibilität für das, was diese antreibt und in vielen Situationen auch zurückhält. Sarah, Jess und Jake gehen ganz unterschiedlich mit dem Verlust von Ellie um, verkriechen sich in Trauer und Schuldgefühlen oder suchen nach Antworten, von denen sie eigentlich gar nichts wissen wollen. Nach und nach erfährt man als Leser mehr über die Hintergründe, was die Tote für die einzelnen Charaktere bedeutete und welche Folgen deren Selbstmord auf sie hat. Immer wieder erhält man dabei Einblicke in die Zeit vor dem einschneidenden Ereignis und kann langsam rekonstruieren, wie es dazu gekommen ist. Man lernt so Ellie besser kennen und ihr Handeln nachzuvollziehen, auch wenn sie ein sehr schwieriger Mensch war, der nicht selten ihr Umfeld schwer verletzt hat.
Die übrigen Nebenpersonen, besonders die Erwachsenen, werden meist nur angeschnitten, doch ich finde es überhaupt nicht schlimm, dass die Teenager hier im Fokus stehen.

Der Schreibstil ist knapp und jugendlich gehalten, wodurch er sich einerseits wunderbar flüssig lesen lässt und andererseits die Emotionen wirklichkeitsnah und zu Herzen gehend widerspiegelt. Man leidet und rätselt mit allen, ohne dass es an irgendeiner Stelle zu voyeuristisch gestaltet ist. Nicht jede Frage wird hier bis ins kleinste Detail beantwortet, sondern vieles bloß angedeutet, was für mich zusätzlich ein Zeichen für die realistische Darstellung war. Unterstützt wird dies durch den Perspektivenwechsel zwischen den Protagonisten und zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sodass man die einzelnen Puzzleteile schön rekonstruieren kann.
Leider ist gerade das Zweite etwas, das recht unübersichtlich und gewöhnungsbedürftig gemacht ist. Man muss sich ein paar Kapitel reinlesen, bis man erkennt, wann und wo man sich befindet und welche Geschehnisse jetzt vor oder nach anderen passiert sind. An manchen Stellen war ich sogar versucht, eine Timeline anzufertigen, um den Überblick zu behalten.
Ein kleines Manko ist zudem der Klappentext: Ich will nicht spoilern, daher formuliere ich es so: Mit der Inhaltsangabe wird eine Erwartung geweckt, die so nicht eintrifft, aber als Kniff in die Geschichte wunderbar gepasst hätte. Dafür gab's von mir einen halben Stern Abzug.

Fazit 

Du bist das Gegenteil von allem ist ein gefühlvolles Jugenddrama, das ein sehr sesibles Thema anspricht. Die Umsetzung besticht dabei durch die feinfühlige Herangehensweise der Autorin an ihre Figuren und deren Beweggründe, den dazu passenden Schreibstil und die realistische Darstellung der Begebenheiten, die vieles nur erahnen lässt.
Man sollte aber nicht unbedingt völlig dem Klappentext vertrauen und manche Stellen ganz genau lesen, um bei dem ständigen Zeitenwechsel den Überblick zu behalten.
Wer Bücher mit ernsten Plots mag, die keine voyeuristischen Züge annehmen, lebensnah und tiefgründig gestaltete Charaktere bevorzugt und sich auf deren seelische Leiden einlassen kann, der sollte diesen Roman einmal näher ins Auge fassen.