Rezension

Sentimentalitäten ohne Kitschigkeiten

Ich, Molly Marx, kürzlich verstorben - Sally Koslow

Ich, Molly Marx, kürzlich verstorben
von Sally Koslow

Bewertet mit 4 Sternen

Obschon der Klappentext bereits mehr als deutlich macht, dass die erzählende Protagonistin dieses Romans jüngst verstorben ist, im tatsächlich noch recht jungen Alter von 35 Jahren, liess mich ein Blick ins Buch und ein kurzes Anlesen der Geschichte doch von vornherein eine eher leichte Unterhaltungslektüre erwarten und diese Erwartung wurde auch erfüllt.

Die 35jährige Molly Marx, Mutter einer 4jährigen Tochter, eine Affäre habende Ehefrau eines fremdgehenden und unter starkem Einfluss seiner High-Society-Mutter stehenden New Yorker Schönheitschirurgen, ist mit dem Fahrrad tödlich verunglückt; allerdings ist unklar, ob es sich bei ihrem Sturz um einen Unfall oder Mord, oder gar um einen Suizid handelt, wobei letztere Option eher unwahrscheinlich anmutet, denn wer versucht schon, sich umzubringen, in dem er mit sich vom Fahrrad fallen lässt?! 
 

In "Ich, Molly Marx, kürzlich verstorben" steht man an der Seite Mollys im Jenseits, die ihre Hinterbliebenen quasi aus dem Off heraus beobachtet, wissen möchte, wie es ihren Liebsten weiterhin ergeht und natürlich auch, ob es Detective Hicks, der mit ihrem Fall betraut ist, gelingen wird, ihren Tod aufzuklären, der auch Molly selbst noch ein Rätsel zu sein scheint, da sie sich an die Umstände ihres Ablebens kaum mehr zu erinnern vermag: Hier setzt Molly allerdings all ihre Hoffnungen, das Mysterium ihres Todes zu entschlüsseln, in den zuständigen Polizisten und beschäftigt sich mehr damit, die Aktivitäten und Gedanken ihrer Hinterbliebenen zu beobachten und zu "hören", während sie zugleich ihre Vergangenheit Revue passieren lässt und insbesondere reflektiert, wie es dazu gekommen ist, dass sie eine Affäre eingegangen ist und was der Geliebte ihr im Gegensatz (oder doch eher in Ergänzung?) zum Ehemann gegeben hat.
(Der Roman ist also mitunter achronologisch erzählt, wobei ich keinerlei Schwierifgkeiten damit hatte, zu unterscheiden, was grade beobachtet wurde und was längst erlebt worden war.)

Ihre nunmehr tote Lage betrachtet Molly mit einem gewissen Sarkasmus, den ich sehr mochte, und ohnehin war mir Molly weithin äusserst sympathisch: Ja, sie war ihrem Mann untreu und daher kaum für Loyalität und Treue zu loben, aber ihr Mann war eine nicht minder treulose Tomate, der interessanterweise durch Mollys Schilderungen weitaus unsympathischer wirkte als sie selbst, obschon Molly sich selbst für ihre andauernde Affäre definitiv auch nicht lobte.
Im Allgemeinen waren die Figuren aber sehr genau und authentisch gezeichnet: Nicht zuletzt dadurch, dass Molly ihre Gedanken exakt wahrnehmen konnte und dem Leser so auch wiedergab, wurde sehr deutlich, dass alle Charaktere eben ihre Ecken und Kanten hatten. 
Die Personenskizzierungen mochte ich in diesem Fall wirklich sehr und man spürte zwar, wen Molly sehr und wen weniger mochte, konnte sich aber auch noch ein eigenes Bild der Charaktere machen, so dass man nicht automatisch wen (nicht) mochte, den Molly ebenfalls (nicht) mochte.

"Ich, Molly Marx, kürzlich verstorben" konzentriert sich aber tatsächlich auf die Gegenwart der Hinterbliebenen; Mollys Tod als "Polizeifall" geriet dabei ein wenig ins Hintertreffen, auch wenn es immer mal wieder eine kurze Erinnerung daran gab, dass eigentlich jeder ihrer engsten Vertrauten eventuell auch mit ihrem Tod in Verbindung stehen könnte; ein extrem spannender Kriminalfall wurde jedoch nicht daraus, obschon im Hinterkopf doch immer die Frage zurückblieb, wie genau Molly den nun eigentlich gestorben war, was eine gewisse Grundspannung aufrechterhielt. 
Denoch habe ich diese Erzählung in erster Linie als Unterhaltungsroman empfunden und als solchen auch geniessen können: Die Geschichte bot einen Rückblick auf die Biografie der Molly Marx und eben auch einen Einblick in das jetzige Leben "ihrer" Leute ohne sie; für Molly selbst schienen ihre Todesumstände auch immer unwichtiger zu werden, da an ihrem Tod ohnehin nichts Veränderliches war, während es wichtiger war, wie das Leben für die Anderen, insbesondere natürlicha uc ihre kleine Tochter, weiterging. (Hinzu kam noch die Neugier, was aus der letzten Affäre ihres Mannes werden würde, die nach Mollys Tod offensichtlich ihre Chance gekommen sah, offiziell die Frau an Barry Marx' Seite werden zu können.) 

Ich habe diesen Roman Sally Koslows sehr gerne gelesen, hätte mir mitunter aber doch etwas mehr kriminalistischen, "böseren", Einschlag gewünscht; ich habe mich gut unterhalten gefühlt, habe schmunzeln könen und an einer bestimmten Stelle auch mal ein paar Tränchen verdrückt; und dafür, dass dies die Geschichte einer eingangs Frischverstorbenen ist, die auf ihre eigene Trauergemeinde hinunterblickt, war "Ich, Molly Marx, kürzlich verstorben" erstaunlich wenig traurig. Deswegen sollte man sich also nicht von der Lektüre abschrecken lassen; philosophische Sentimentalitäten und überbordende Trauer bleiben hier trotz Mollys Tod aus: Deprimierende Geschichten lesen sich da wirklich ganz anders!