Rezension

Sex, Drugs & Rock'n'Roll

All About a Girl
von Caitlin Moran

Bewertet mit 5 Sternen

Wat'n cooles Buch! :D Ja, am Anfang geht es sich etwas schleppend an, aber am Ende war ich von 'All about a Girl' von Caitlin Moran schlicht restlos begeistert.

Johannas Familie im industriell aussterbenden England lebt Ende der 80er Jahre von Sozialhilfe. Der traumatisierte Vater klammert sich an seinen Traum von einer Musikkarriere, die von drei Kindern überforderte Mutter bekommt überraschend Kind Nummer vier und fünf. Mit einem Bein steht die Familie stets im Abgrund und die pummelige, belesene und zum Überanalysieren neigende Johanna sucht nach einem Ausweg und einer Chance, ihre Familie zu unterstützen. Sie setzt sich ein Ziel und verfolgt es überraschend zielstrebig: Nach viel Arbeit, ungezählten Stunden Recherche und einer Reise nach London kehrt sie als Dolly - Rotzgöre und Musikkritikerin, zurück. 

In den nächsten Jahren begleitet der Leser Dolly zu beruflichen und sexuellen Eskapaden. Dabei macht Johanna durchaus (in beiden Bereichen) auch negative Erfahrungen, aber niemals ist sie Opfer. Immer trifft sie selbst die Entscheidungen und gibt bei Nichtgefallen des Resultats auch keinem anderem die Schuld daran. Was für ein Charakter! Auch wenn das, was sie macht sicherlich nicht als 'Vorbild' gelten sollte, ist ihr Umgang damit und ihre Fähigkeit zur Selbstanalyse für mich kritiklos richtig. Manchmal urteilt sie in einer herzzerreißenden Ehrlichkeit über sich selbst, das man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Obwohl der Tonfall ein komplett anderer ist, erinnert sie mich in dieser Hinsicht an Francie Nolan aus 'Ein Baum wächst in Brooklyn' - beide Mädchen wählen das Schreiben als den Weg aus ihren ärmlichen und tristen Verhältnissen und identifizieren sich über ihre Worte, die lyrisch den direkten Weg ins Herz des Lesers finden. 

"Staunend blickst du zurück auf die vielen Geheimnisse, die du bewahren wolltest - auch das Geheimnis deiner Person. (...) Obwohl du ungefähr so geheim warst wie der Mond. Und genauso hell geleuchtet hast, verborgen unter all den schrägen Klamotten." (S. 357)

Die Übersetzung des Originaltextes von Regina Rawlinson ist sprachlich grandios. Bisweilen derb und drastisch, oft mit extrem komischen Wortspielen und dabei trotzdem immer wieder hoch poetisch. Ein Spagat, der vielleicht als Charakterisierung der Hauptfigur nicht 100%-ig glaubwürdig ist, den Leser aber von der ersten Seite an fesselt. 

Doch während ich Johannas Weg lachend, kopfschüttelnd und seufzend begleitet habe, ist es tatsächlich ein Nebencharakter, der fast 'schüchtern' nur von Zeit zu Zeit auftritt und mir mein Herz gestohlen hat. Im Hintergrund erzählt dieser von einem Politikum, das in einigen Jahrzehnten wahrscheinlich gar kein Thema mehr sein wird, es in den 90ern aber definitiv noch war: Homosexualität. So nach und nach selbstverständlicher wie Caitlin Moran diesen Charakter dem Leser näher bringt, spiegelt sie eine (teils wünschenswerte, teils tatsächliche) gesellschaftliche Entwicklung. Das ist grandios gemacht. Fast merkt man gar nicht, was Sache ist, bis der Mensch schließlich 'fertig' und offen vor einem steht und man erkennt: das war er schon immer. So selbstverständlich sollte das bei jedem sein!

Ein absolut überraschendes Buch - nicht so sehr von der Handlung her, sondern hinsichtlich meiner Begeisterung darüber. Eine Coming of Age-Story par excellence, sprachlich fetzig und dabei tiefsinnig zugleich!