Rezension

Sex, Drugs & ... Stummfilm!

Der Mann, der nicht mitspielt - Christof Weigold

Der Mann, der nicht mitspielt
von Christof Weigold

Bewertet mit 5 Sternen

Hollywood, 1921: Hardy Engel, derzeit arbeitsloser Schauspieler und Ex-Polizist, braucht dringend Geld, da bietet sich ein Detektivbüro als zweites Standbein förmlich an. Pepper Murphy, seine erste Klientin und ein fleischgewordener Männertraum, beauftragt ihn, die verschwundene Schauspielerin Virginia Rappe aufzuspüren. Sie hatte ein Casting bei "Famous Players", doch danach verliert sich ihre Spur. Hardy braucht nicht lange, um im Studio in Erfahrung zu bringen, dass Virginia direkt im Anschluss an ihre Probeaufnahmen mit einer Freundin nach San Francisco aufgebrochen ist. Das Glück beschert ihm einen zweiten Auftrag, er soll dem "Famous-Players"-Star Roscoe "Fatty" Arbuckle ein brisantes Päckchen liefern. Der weilt zur Zeit ebenfalls in San Francisco und feiert anlässlich des Labor Days ein rauschendes Fest mit reichlich Alkohol und anderen illegalen Substanzen - nicht weiter verwunderlich, dass Hardy auf ebendieser Party auch auf das verschollene Starlet stößt - und damit in einen Strudel von Ereignissen gerät, die sich innerhalb kürzester Zeit zum größten Skandal der noch jungen Traumfabrik entwickeln werden...

 

Ehrlich, was für ein grandioses Buch! Schon der Prolog, der gerade mal eine Buchseite einnimmt, hat in mir die Erwartung auf ein besonderes Leseerlebnis geweckt, und Christof Weigold hat dieses Versprechen auch eingelöst. Obwohl dort im Grunde schon weit vorgegriffen wird, wird unheimlich viel Spannung aufgebaut, die über die für einen Krimi unglaubliche Länge von über 600 Seiten auch nie nachgelassen hat.

Die tatsächlichen Ereignisse des Arbuckle-Skandals werden geschickt mit der fiktiven Handlung um den abgehalfterten Schauspieler, aber durchaus versierten Ermittler Hardy Engel verknüpft. Eine ganze Reihe realer Personen, wie beispielsweise die Leinwandlegenden Gloria Swanson und Wallace Reid, die Studiobosse Laemmle, Zukor, Goldwyn, Meyer und noch einige mehr, bis hin zu den unglücklichen Hauptakteuren Virginia Rappe und Roscoe Arbuckle, ist in die Handlung eingebunden.

 

Hardy Engel ist eine Figur nach meinem Geschmack: Zum einen ist er absolut ein Kind seiner Zeit, nach vier Jahren im Schützengraben, die er wie durch ein Wunder unversehrt überstanden hat, kehrt er der Heimat den Rücken, und erfindet sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten völlig neu. Früher Polizist, heute Schauspieler, ein Unding in der alten Welt, aber in Amerika ein normaler Lebenslauf. Er will das Leben genießen, schert sich nicht das Geringste um die Prohibition, und obwohl er ein Freund der neuen lockeren Sitten ist, kann er mit einem allzu ausschweifenden Lebensstil der Damenwelt trotzdem nicht ganz so gut umgehen. Zum anderen ist er ein wirklich fähiger Detektiv, der mich von seinen Schlussfolgerungen und seiner Vorgehensweise immer überzeugen konnte, obwohl dieser verworrene und absolut undurchsichtige Fall ihn an die Grenzen seines Könnens und vor allem seiner Belastbarkeit bringt.

 

Neben der Figurenzeichnung hat mich begeistert, wie gut die Atmosphäre und der Lebensstil der beginnenden Roaring Twenties in der noch blutjungen Filmindustrie transportiert wurde, ohne dass die Spannung dabei auf der Strecke geblieben wäre - das ist ganz großes Kino, noch dazu in einem Debütroman ;) Das gelungene Spiel mit Klischees über deutsche Auswanderer, Privatdetektive und erfolglose Schauspieler, sowie der völlige Verzicht auf die heute übliche Political Correctness schaffen einen passenden Hintergrund, lockern aber auch die dramatischen Geschehnisse, die letztendlich zwei Menschen in den Abgrund rissen, auf.

 

Ich kann es jetzt schon kaum noch erwarten, bis Hardy im Frühjahr 2019 (so verspricht es zumindest die Homepage des Autors) seine Ermittlungen (endlich!) wieder aufnehmen wird, damit ich mich von Neuem in dieses schillernde und verruchte Haifischbecken, in dem nichts ist, wie es scheint, entführen lassen kann.