Rezension

Shakespeare und Super Mario

Morgen, morgen und wieder morgen -

Morgen, morgen und wieder morgen
von Gabrielle Zevin

Bewertet mit 4 Sternen

Nach 400 Seiten bricht Gabrielle Zevin den Leser:innen das Herz. Oder zumindest mir, dabei bin ich eigentlich immer relativ emotionslos, wenn Roman- oder Filmfiguren etwas passiert, das nichts Gutes verheißt. Aber: In „Morgen, morgen und wieder morgen“ geschehen ständig unschöne Dinge – Unfälle, Übergriffe, Überfälle – und dennoch, vielleicht auch gerade deswegen, ist es ein gutes Buch. Aber auch: kein sehr gutes.

Goodreads Leser:innen kürten „Tomorrow, tomorrow and tomorrow“ mit deutlichem Abstand zum „Best Fiction“-Buch 2022, eine Verfilmung ist in Arbeit und das ist auch nachvollziehbar. Zevin schafft hier eine spannende Coming-of-Age Geschichte zwischen Freundschaft und Liebe und mit ganz viel 90er- und 00er-Jahre-Zeitgeist. Die Storyline kurz zusammengefasst: Sam und Sadie lernen sich in einem Krankenhaus in Los Angeles kennen, sie als Begleitung ihrer krebskranken Schwester, er nach einem Autounfall, gemeinsam zocken sie Super Mario, Tag für Tag, bevor ein Streit sie für Jahre trennt. In Boston treffen sie sich wieder, zufällig in der U-Bahn, sie steckt ihm ein von ihr programmiertes Videospiel in die Hand – und ein paar Seiten später entwickeln sie gemeinsam ein neues Spiel.

Es gibt viele Rückblenden, es gibt Blicke in die Zukunft, Interviews mit Sam und Sadie als Erwachsene, zurückblickend auf ihre Videospiele, die zu großen Erfolgen wurden. Manche Episoden werden aus Sadies, manche aus Sams Sicht erzählt, Teile auch aus der von Sams Mitbewohner Marx, eine Figur, die vermutlich am besten das Prädikat „Most wholesome character“ des Jahres verdient, wenn wir schon bei Preisen sind. Spannend ist dabei weniger die Not-Love-Story der Hauptfiguren, eher, wie sie selbst die jeweiligen Lebenssituationen beurteilen, bewerten, sich einander oft misstrauen und dabei selbst um ein schöneres, gemeinsameres Leben bringen. Egal ob als Paar oder Freunde.

Dass all dem der literarische Aufbau einer Tragödie innewohnt, macht schon der an Shakespeare angelehnte Titel deutlich, ein Teil eines Macbeth-Zitats. „Morgen, morgen und wieder morgen“ ist gut durchdacht, famos aufgebaut, spannend und toll zu lesen – als einziger Wermutstropfen bleibt der oft fehlende Sympathiewert der Hauptfiguren. Sam und Sadie bleiben nicht nur sich, sondern auch mir als Leser oft fremder als manche der charmanten Nebenfiguren, quälen sich zu sehr mit Sachen, die ihnen bewusst nicht gut tun (Sam: sein seit dem Unfall zerstörter Fuß, Sadie: ihr Dozent und zeitweiliger Lebenspartner Dov) und als Leser steht man eher hilflos daneben, während sie in einen Gumba nach dem anderen rennen statt einfach darauf oder drüber zu springen. Kleine Super-Mario-Referenz für Sam und Sadie.

Und dennoch: Gabrielle Zevins Buch ist ein gutes, spannendes und auf 560 Seiten niemals langweiliges Buch, zumindest, wenn ein gewisses Interesse für Videospiele und deren Produktion vorhanden ist. Eine gute Geschichte, die bloß ein bisschen von dem vermissen lässt, das auch Sam und Sadie fehlt: Liebe.