Rezension

Sie fragt mit ihren sympathischen Hauptfiguren nach dem, was bleibt, wenn eine Heimat verloren geht, die Eltern sterben oder auch politische Hoffnungen, die einem lange Kraft und Sicherheit gaben, verschwinden

Wohin wir gehen - Peggy Mädler

Wohin wir gehen
von Peggy Mädler

Bewertet mit 5 Sternen

Peggy Mädler, Wohin wir gehen,Galiani Verlag 2019, ISBN 978-3-86971-186-7

 

In ihrem Debütroman „Legende vom Glück des Menschen“ der 2011 auch bei Galiani in Berlin erschien, hatte die 1976 in Dresden geborene Peggy Mädler den gewagten und gelungenen Versuch unternommen, persönliche Erinnerung und die große Geschichte miteinander zu verbinden und nach ihren Beziehungen zu forschen.

 

Es war eine viel beachtete durch biographische Erinnerungen der Autorin getönte Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte, die die Erzählerin des Buches da unternahm. Eine Familiengeschichte in der DDR.

 

Nun, viele Jahre später, legt Peggy Mädler ihren nächsten Roman unter dem Titel „Wohin wir gehen“ vor. Es ist ein nachdenklicher und kluger, ja lebensweiser Roman über entscheidende Fragen des Lebens. Sie fragt mit ihren sympathischen Hauptfiguren nach dem, was bleibt, wenn eine Heimat verloren geht, die Eltern sterben oder auch politische Hoffnungen, die einem lange Kraft und Sicherheit gaben, verschwinden.

 

Wohin soll man gehen, wo will man bleiben, wo findet man Heimat, wenn Landschaften, Orte und Jahre durch die Zeiten sich zwangsweise  verändern? Im Zentrum der sich über mehr als halbes Jahrhundert hinziehenden Handlung stehen die beiden Freundinnen Almut und Rosa. Die eine lernt in ihrem langen Leben, dass es immer etwas zu verlieren gibt und schaut auf ein Leben voller Verluste zurück und die andere hat erfahren, dass das Leben immer irgendwie weitergeht.

 

Und so ist der ganze, leise erzählte Roman eine Geschichte vom Älterwerden, von Abschieden und Neuanfängen und darüber, dass das Leben immer weiter geht.

Die Handlung beginnt in den 1940 er Jahren in Böhmen. Die Mädchen Almut und Rosa sind beste Freundinnen. Doch Almuts Vater stirbt völlig unerwartet und die Mutter begeht daraufhin Selbstmord. Rosas Mutter, eine überzeugte Kommunistin, nimmt nach dem Krieg und der Ausweisung aller Deutschen aus der Tschechoslowakei beide Mädchen mit nach Brandenburg. Peggy Mädler beschreibt sehr eindrücklich, wie sie dort nicht nur unter dem Verlust der alten Heimat und Entwurzelung leiden, sondern auch, wie sie nach und nach sich mit dem neu gegründeten Staat zu identifizieren lernen. Almut und Rosa werden beide Lehrerinnen. Doch kurz vor dem Mauerbau 1961 flieht Rosa nach West-Berlin. Almut leidet lange unter diesem Verlust, wieder ist ihre Welt auseinandergebrochen. Doch sie gibt nicht auf, gründet eine Familie und bekommt mit Elli eine Tochter.

 

Die wiederum hat in der Jetztzeit des Romans genau wie ihre Mutter damals mit Rosa eine Freundin. Sie heißt Kristine und wird sich, nachdem Elli für eine neue Stelle am Theater nach Basel gezogen ist, um die kranke und gebrechliche Almut kümmern.

 

Die Handlung des Romans wechselt zwischen Gegenwart und unterschiedlichen Stadien der Vergangenheit. Erfahrungen und Erinnerungen lagern sich wie Sedimente ab. Lebenswege verschlingen sich, zwischen den Familien und den Generationen. Über Jahrzehnte hinweg geht es immer auch ums Weggehen, Ankommen oder Bleiben. Hauptsächlich aber, zu unterschiedlichen Zeiten, geht es Peggy Mädler darum, mit ruhiger Kraft jenen Moment herauszuarbeiten in den Lebensgeschichten ihrer Figuren, wo sie spüren und erleben, was für sie wirklich zählt im Leben. 

 

Peggy Mädler hat für dieses Buch den „Fontane-Literaturpreis der Fontanestadt Neuruppin und des Landes Brandenburg“ erhalten. In der Begründung der Jury heißt es:

„Drei Generationen, drei Freundinnenpaare. Geprägt sind ihre Lebensgeschichten von Brüchen und Veränderungen, ausgelöst durch Krieg, Vertreibung und wechselnde politische Systeme bei den einen, durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, digitales Nomadentum und Globalisierung bei den anderen. (…) In literarischer Perfektion beschreibt Peggy Mädler Land und Leute, ihre Seele und ihre Sehnsüchte, ihre Prägungen und ihr Scheitern – ganz in der Tradition Theodor Fontanes. Sie braucht dabei nur wenige knappe Striche, um erzählerische Wucht zu entfalten.“

 

Dieser literarkritischen Einschätzung kann sich ein von dem Buch begeisterter Rezensent nur anschließen.  Ich hoffe nur, dass man auf den nächsten Roman von Peggy Mädler nicht mehr solange warten muss.