Rezension

Sie nannten ihn Ahab - eine leise Coming-of-Age-Geschichte

Der Zufall kann mich mal - Martin Gülich

Der Zufall kann mich mal
von Martin Gülich

Bewertet mit 4 Sternen

Den Film Moby Dick hat Tim in der Schule verpasst, der ihm seinen Spitznamen Ahab einbrachte. Ein Bein nach vorn, das andere Bein seitwärts im Bogen herumsetzen, genau wie Melvilles Kapitän bewegt Tim sich nach seinem Fahrradunfall. Grund für den Unfall war Tims Schnapsidee, sein Buch unter die Klingel zu klemmen und auf dem Rad schnell noch ein paar Seiten zu lesen. Im normalverrückten Alltag eines Vierzehnjährigen spielt Tims Behinderung nur eine Nebenrolle und doch wird in Tims umständlicher Art deutlich, wie stark sein Handicap ihn einschränkt. Radfahren, Hockeyspielen, spontan etwas mit der Clique unternehmen - mit einem steifen Bein kann man das vergessen. Im Moment drehen sich Tims Gedanken um seinen Freund Remo. Freundschaft für die Beziehung der beiden wäre zu zurückhaltend ausgedrückt, sie sind wie Brüder. Seit Remos Eltern sich getrennt haben, gibt es mit Tims Freund Probleme in der Schule, schließlich schwänzt Remo die Schule ganz. Wer bereits Ärger gemacht hat, wird schnell zum Sündenbock, so dass sogar die Polizei gegen Remo ermittelt. Als Remo seinem Freund endlich anvertraut, dass sein Vater Alkoholiker ist, beschließen die beiden eine aberwitzige Hilfsaktion. Dass den Jungs ein glaubwürdiger Weg aus dem Alkoholproblem von Remos Vater einfallen würde, hatte ich ihnen ehrlich gesagt nicht zugetraut.

Vierzehn ist mit Abstand das blödeste Alter, das einem Jugendlichen passieren kann, meinte Luca zu Beginn. Tim wird in diesem schwierigen Jahr erwachsen - und seine Freundschaft zu Luca und Remo übersteht sogar die erste Schwärmerei für ein Mädchen. Als Junge, der gern liest und in seiner Stammbuchhandlung persönlich bekannt ist, scheint Tim in Gülichs Jugendroman die Idealbesetzung für die Rolle des sonderbaren Vogels zu sein. Charakteristisch für Tims spezielle Art ist die Zielsicherheit, mit der er sich beim Erzählen möglichst weit vom Thema weg bewegt. Junge, komm endlich in die Gänge, würde ich Tim am liebsten zurufen. Wie seine Hauptfigur kommt auch das Buch erst allmählich in Gang, berührt dann aber mit Martins Gülichs verhaltener Darstellung seines gehandicapten Anti-Helden.