Rezension

Sinclair Lewis Utopie von 1935 - überraschend aktuell

Das ist bei uns nicht möglich - Sinclair Lewis

Das ist bei uns nicht möglich
von Sinclair Lewis

Bewertet mit 4 Sternen

Mitten in der Wirtschaftkrise der 30er zieht ein unbekannter Senator aus der Provinz mit populistischen Versprechungen in den Wahlkampf gegen den amtierenden Präsidenten Roosevelt. Berzelius (Buzz) Windrip will das Ansehen der USA wiederherstellen, verspricht als Wahlgeschenk ein bedingungsloses Grundeinkommen und bekämpft rabiat freie Presse, unabhängige Justiz, Frauen- und Bürgerrechte. Indem er Banken, Politiker, alle -ismen und die Afroamerikaner im Land zum Feindbild erklärt, trifft er instinktiv die Wünsche der kleinen Leute im Mittleren Westen. Obwohl besonnene Bürger immer wieder betonen, dass ein Alleinherrscher „bei uns in Amerika“ doch nicht möglich sei, gewinnt Windrup die Wahl. Er regiert umgehend per Dekret, stellt Obersten Gerichtshof und Generalstabschef kalt und schafft eine gewaltige Anzahl von Jobs für seine Anhänger. Als kritische Stimme ist nur Doremus Jessup vorstellbar, der in einer fiktiven Kleinstadt in Vermont den „Daily Informer“ herausgibt. Doch der alternde Doremus hat seinen ehemaligen Biss verloren und sieht sich unter dem Sachzwang, zuerst seine Familie ernähren zu müssen. Aus Kanada wird eine Gruppe von Exil-Amerikanern tätig, die Windrips Alleinherrschaft bekämpfen will.

Beim Leser bleibt die Erkenntnis zurück, dass der natürliche Feind von Populisten und Despoten Bildung sein soll; denn Windrip konnte mit der Forderung, die Geldmenge zu verdoppeln, nur gewinnen, weil offenbar niemand wusste bzw. nachfragte, welche Folgen dieser Entscheidung zu erwarten wären.

In nüchternem Reportage-Stil legt Sinclair Lewis seine Utopie an, die spürbar von den Ereignissen im nationalsozialistischen Deutschland angeregt wurde. 80 Jahre später wäre ein informierender Anhang zu den Lebensbedingungen von Windrips Wählerschaft nicht schlecht gewesen. Lewis‘ Klassiker ist im Jahr des Amtsantritts von Donald Trump ein verblüffender wie sensationeller Fund, weil der Roman seit Trumps Alleinherrscher-Attitüde keine Utopie mehr ist und zudem Trump aktuell nicht einmal eine Ausnahme auf dem politischen Parkett zu sein scheint. Gelesen habe ich die Utopie unter dem Eindruck, ich müsste einen Text für Schule oder Ausbildung lesen. Wer sich nicht mit Windrip identifizieren will, wird im Roman auf der Suche nach einer Identifikationsmöglichkeit nicht so recht fündig. Gegenüber populistischen Leerformeln sollte man bei der Lektüre nicht zu sensibel reagieren. Allerdings hat die anschließende Suche einen gewissen Unterhaltungswert, welche Wahlkämpfe (weltweit) heute ohne Wahlgeschenke, ohne Schaffung eines äußeren Feindes und ohne das Schüren von Abstiegsängsten stattfinden.