Rezension

Skurriler, amüsanter Coming of Age-Roman

Familie und andere Trostpreise - Martine McDonagh

Familie und andere Trostpreise
von Martine McDonagh

Bewertet mit 4 Sternen

INHALT

Sonny hat eine Menge Neurosen, und es erscheint ihm völlig normal, die Flucht zu ergreifen, wenn Menschen in seiner Gegenwart diese seltsamen Knutsch- und Sauge-Geräusche mit ihren Mündern machen. Und dann ist da noch seine Umschlagphobie, die Riesenangst vor Briefumschlägen! Leider erbt Sonny an seinem 21. Geburtstag nicht nur ein Vermögen, sondern bekommt auch fünf geheimnisvolle Briefe. Nur sie können ihm helfen, endlich mehr über sich und seine merkwürdige Familie herauszufinden. Doch wie soll er anfangen, wenn er sich noch nicht einmal traut, die Umschläge zu öffnen?

(Quelle HarperCollins Germany)

MEINE MEINUNG

„Familie und andere Trostpreise" ist bereits der dritte Roman der Engländerin Martine McDonagh, die lange Zeit als Bandmanagerin und Lektorin arbeitete. Ihr neustes Buch ist ein sehr witziger, erfrischender Coming of Age-Roman über die Schwierigkeiten Groß zu werden, eine Spurensuche nach der eigenen Identität, den familiären Wurzeln und dem Aufdecken von unbequemen Wahrheiten zwischen vielfältigen Täuschungen, Selbstbetrug und Lügen.

Die schon von Beginn an sympathische Hauptfigur Sonny begibt sich auf einen skurrilen und abenteuerlichen Roadtrip nach Großbritannien, nachdem er zu seinem 21. Geburtstag erfahren hat, dass er dank seines verstorbenen Vaters auf einen Schlag ein reicher Mann ist. Dort besucht er Leute, die seine Eltern kannten, um so mehr über seine Eltern und über den Verbleib seiner verschwundenen Mutter zu erfahren. Im Laufe der Handlung begegnen wir einer Menge sehr exzentrischer, aber auch einigen liebenswerten Figuren, die so manches schockierende Geheimnis offenlegen. Sonnys biographischer Trip führt uns kreuz und quer durch Großbritannien - von Brighton, London, nach Schottland bis Keswick im Lake Distrikt. Sehr fesselnd ist es mit zu verfolgen, wie sich die vielen Hintergrundinformationen über seine Vergangenheit schließlich wie Puzzlestücke schrittweise zusammenfügen und zusammen mit den in den Briefen seines Vormunds Thomas enthaltenen Geständnissen ein immer schärferes Bild über seine Kindheit und Jugend ergibt. Zugleich wird eine unerwartet erschreckende Familiengeschichte enthüllt, die einen mit seiner ungeheuerlichen Tragweite sprachlos zurücklässt. Die Autorin zeigt sehr anschaulich auf, welche Macht extrem narzistische Charaktere wie Sonnys Vater, der Scharlatan und selbsternannte Guru Bim, auf ihr Umfeld haben. Durch gezielte Manipulation und Lügen sowie grenzenlosen Egoismus benutzen sie Menschen skrupellos für ihren eigenen Vorteil.

Die Autorin zeichnet ein sehr eindringliches Bild von Sonnys vielschichtiger Persönlichkeit und präsentiert uns einen sehr zynischen, verbitterten und recht abgeklärten Antihelden, der dennoch in seiner großen Verletzlichkeit sehr liebenswert ist. Sie hat ihrem Protagonisten und Ex-Junkie mit etlichen neurotischer Störungen sehr treffsicher eine einzigartige Stimme verliehen. Der frische, jugendliche Schreibstil wirkt mit den verwendeten umgangssprachlichen Ausdrücken sehr authentisch und lässt sich gut lesen. Geschickt lässt die Autorin Sonny seine Geschichte aus seiner Perspektive mit viel Selbstironie im Präsens erzählen, so dass man das Gefühl hat, eine Art Reisetagebuch von ihm zu lesen und hautnah seine ungefilterten Emotionen miterleben kann. Gestaltet ist das Ganze als eine Art Brief an seine unauffindbare Mutter, an die er kaum noch Erinnerungen hat, und gewürzt mit einem wundervoll lakonischen Tonfall, netten warmherzigen Einsichten und einer Menge geistreicher und spitzfindiger Kommentare. Hervorragend gelungen ist schließlich auch Sonnys Schlussfolgerungen, die auf einen Reifungsprozeß des jungen Manns schließen lassen und zum Ausklang hoffnungsvoll stimmen. Nicht die echten Familienbande sind bedeutsam für seine Entwicklung, sondern die besonderen Menschen die ihn auf seinem Lebensweg begleitet, ihn geliebt und mit ihren einzigartigen Persönlichkeiten wesentlich geprägt haben.

Eine ganz besondere Note bekommt die Geschichte durch die ständigen Querverweise zu dem Kultfilm „Shawn of the dead“, den ich leider nicht kannte. Für die Hauptfigur Sonny, der während seines Trips immer wieder Drehorte aufsucht und zu bestimmten Szenen Bezug nimmt, ist dieser Film eine Art essentieller Bezugspunkt, um seinem ganzen Leben einen gewissen Sinn zu geben. Es macht Spaß, Sonny auf seiner abenteuerlichen, ereignisreichen Reise zu begleiten und mit ihm über einige britische Eigenheiten zu schmunzeln.

FAZIT

Ein eigenwilliger, skurriler Coming of Age-Roman mit einem liebenswerten Antihelden und jeder Menge abgedrehter, schrulliger Figuren! Ein amüsantes, unterhaltsames und zugleich bewegendes Lesevergnügen!