Rezension

skurriles Buch mit teils verstörender Thematik

Sturm überm Winkelhaus -

Sturm überm Winkelhaus
von Julia Kahrs

Bewertet mit 2 Sternen

Ich muss sagen, dass es mir selten so schwer fällt, eine Rezension zu schreiben, wie bei diesem Buch, da ich den Eindruck habe, dass die Geschichte sowohl bei den Eltern als auch den Kindern sehr unterschiedlich aufgenommen werden könnte und möglicherweise polarisiert. Anhand der Kurzbeschreibung hatte ich etwas völlig anderes erwartet, und die Auszeichnung mit diversen Preisen in Norwegen hat mich neugierig gemacht. Das sehr farbenfrohe Cover deutet auf ein eher harmloses Kinderbuch hin.

Sam, Gabriel und Fleming Brattbakk ziehen mit ihrer Mutter nach Gørja, eine Stadt, in der es alle paar Jahre zu einem merkwürdigen Wetterphänomen kommt. Über Wochen stürmt es, und jedes Mal verschwinden dabei auf unerklärliche Weise Kinder. Kurz nachdem die Brattbakks dort angekommen sind, zieht wieder ein Sturm auf und ein Junge verschwindet. Zudem stellt Sam fest, dass sich ihre Mutter zunehmend merkwürdig benimmt. Sie wirkt kontrollsüchtig, überwacht ihre Kinder, achtet zwanghaft auf deren Fitness- und Ernährungszustand, verabreicht sogar Anabolika.

Die Atmosphäre im Buch wird immer beklemmender, und Sam entwickelt Angst vor ihrer Mutter. Nun tritt im Buch ein Thema in den Vordergrund, das ich in einem Kinderbuch ab 10 Jahren nicht erwartet habe. Normalerweise achte ich sehr darauf, in einer Rezension nicht zu spoilern. Ich habe mich jedoch dazu entschieden, hier zumindest ansatzweise darauf einzugehen, da dieses Thema möglicherweise nicht für alle Kinder geeignet ist: Es geht um Kannibalismus, da Sam zunehmend davon überzeugt ist, dass ihre Mutter Kinder isst bzw. diese den Geschwistern als Mahlzeit vorsetzt, und auch sie und ihre Geschwister verspeisen möchte. Zweideutige Aussagen und merkwürdige Geschehnisse lassen dies möglich erscheinen. Auch das Töten und Verspeisen eines Haustieres durch die Mutter wird angedeutet. Beides hat meinen Sohn (10) sehr verstört, und ich bin froh, dass wir das Buch gemeinsam (vor-)gelesen haben, so dass ich mit ihm über alles sprechen konnte. Kannibalismus war ihm bis dahin noch kein Begriff, und es hat ihn sichtlich aufgewühlt.

Ich war nach dem Buch sehr zwiegespalten. In einem ersten Impuls empfand ich das Buch als ungeeignet für 10-Jährige, andererseits sind Kinder oft sehr fantasievoll und malen sich düstere Dinge aus, die sich vielleicht auch in diesem Buch spiegeln. In jedem Fall ist es stellenweise sehr makaber und skurril. Ich habe meinen Sohn zu seiner Meinung befragt, und er würde das Buch nicht nochmal lesen wollen. Das Thema Kannibalismus befremdete ihn, er vermisste zudem eine echte Handlung und meinte, es würde im Buch zu wenig passieren, so dass es eigentlich auch nicht spannend sei. Ich verstehe, was er meint, in gewisser Weise dreht sich alles um Sams Verdacht, aber die äußere Handlung tritt auf der Stelle. Zudem scheinen uns die Charaktere auch wenig plausibel zu handeln: Angesichts von Sams ungeheurem Verdacht isst sie relativ ungerührt von den Fleischmahlzeiten.

Mein Sohn liest sehr gerne altersgemäße Fantasy-Literatur, auch „Harry Potter“, „Keeper of the Lost Cities“, „Die Insel der wandernden Flüche“ und ähnliches, und ich würde ihn nicht als besonders ängstlich bezeichnen. Angesichts unserer Eindrücke kann ich dieses Buch nicht uneingeschränkt für Kinder ab 10 Jahren empfehlen, und ich bin doch etwas verwundert darüber, dass es mit dem norwegischen Pendant des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet wurde. Interessanterweise wird im Buch Roald Dahls Werk „Hexen hexen“ kurz genannt, und auch Dahls Kinderbücher weisen teils makabre und verstörende Züge auf.

Insgesamt konnte uns das Buch leider nicht überzeugen, und ich hätte es meinen Sohn nicht guten Gewissens alleine lesen lassen.