Rezension

Slow motion

Ein Winter in Paris - Jean-Philippe Blondel

Ein Winter in Paris
von Jean-Philippe Blondel

Bewertet mit 4 Sternen

Es liegen noch Romane von dir auf dem SuB, Jean-Philippe!

Victor, aus der Provinz stammend, geht nach dem Abitur nach Paris, in eine sogenannte Vorschulklasse. Das französische Bildungssystem unterscheidet sich wesentlich vom deutschen. Der Begriff „Klasse“ ist irreführend für unsere Ohren. Bis dorthin zu gelangen, ist schon eine gewisse Auszeichnung. Denn es handelt sich bei diesen "Vorschulklassen" um ein hartes Ausleseverfahren für die weiterführenden Eliteschulen/Universitäten. Das heißt, wer die Vorschulklasse meistert, erwirbt mit seinem Diplom die Zugangsberechtigung zu den Grande ecoles und wird nach deren erfolgreicher Absolvierung in der Regel einer der Führungskräfte des Landes. 
Victor ist jung, noch unfertig, einsam und ehrgeizig. In der „Vorschule“ herrscht ein bissiges Konkurrenzdenken. Paris schaut auf sein Umland herab. Und Menschen aus der Provinz führen von vorneherein ein Aussenseiterdasein. Jedenfalls dann, wenn sie nicht auf die Pauke hauend auf sich aufmerksam machen oder mit etwas anderem Ungewöhnlichem punkten können.

So jung und ungefestigt Victor auch ist, ist er nicht so jung und ungefestigt wie sein Kommilitone Mathieu, der dem Druck, der Isolation, dem rauen Ton in der Schule nicht standhält und vom Treppengeländer aus in den Tod springt. Ohne es recht zu merken, erschüttert dieses Erlebnis Victor bis in die Grundfesten und lässt ihn ein Leben lang nicht mehr ganz los.

Obwohl die Betonung des Romans auf Victors Prägung durch das Erlebnis liegt, klingelt leise im Hintergrund die Kritik am französischen Ausleseverfahren und den entsprechenden harten Lehrmethoden und Notenvergaben. Insofern ist Jean-Philipp ein gesellschaftskritischer Autor.

Es gibt ein paar sehr schöne, sinnige Sätze in diesem Roman. Es ist ein langsamer Roman, der in erster Linie von einem Lebensgefühl erzählt. Leider gibt Paris nur ein Hintergrundrauschen ab. Ein Ort am Atlantik, ein weiterer Schauplatz, ist spürbarer und salziger.

Dieser Roman ist nicht kitschig. Nicht sentimental. Er drückt nirgends auf die Tränendrüse. Sein großes Plus. Subtil melancholisch. Aber nicht sehr.

Fazit: Der Roman ist very slow. Voller tiefer Gedanken. Er schildert ein Lebensgefühl, das ich von früheren Jahren teilweise wiedererkenne. Ich mochte dieses Buch. Aber die Geschichte bleibt irgendwie in der Luft hängen. Ein klein bisschen mehr Bewegung hätte sie vertragen können.

Kategorie: Anspruchsvoller Roman.
Verlag: Deuticke, 2018