Rezension

Solide, aber überraschungsarm und mit einer Extraportion Pathos

Die mir den Tod wünschen - Michael Koryta

Die mir den Tod wünschen
von Michael Koryta

Tolle Idee, klischeehafte Umsetzung

Manche Klappentexte lesen sich leider spannender als die eigentlichen Bücher:

Der dreizehnjährige Jace wird Zeuge eines Mordes. Zwar kann er den Tätern entkommen, doch die Killer ' die brutalen Blackwell-Brüder - kennen seine Identität und wollen seinen Tod. Bis zum Beginn des Prozesses, bei dem Jace als Hauptbelastungszeuge auftreten soll, wird der Junge daher unter falscher Identität im Survivalcamp des Ex-Soldaten Ethan Serbin versteckt. Die raue Wildnis scheint der perfekte Unterschlupf zu sein, wäre da nicht jemandem ein entscheidender Fehler unterlaufen, der die Killer auf Jaces' Spur setzt. Schon bald beginnt eine Verfolgungsjagd durch die Berge Montanas '

Nach spektakulären ersten Seiten schnellte meine Erwartungshaltung in gigantische Höhen. Koryta steigt mit einem enormen Spannungslevel ein, indem er Jace nichtsahnend Sprünge von den Klippen eines einsamen Steinbruchs üben lässt, während ganz in der Nähe zwei Mörder ihr Unwesen treiben. Nun verrät ja schon der Buchumschlag, dass es Jace gelingt zu entkommen, was der Spannung keinen Abbruch tut, denn man will unbedingt wissen, wie genau er das anstellt.
Exakt an dieser Stelle aber, nach knapp 20 Seiten, bildete sich das erste empörte Fragezeichen in meinem Kopf. Koryta steigt mitten in der Szene aus und lässt den Leser mit einem qualvollen Cliffhanger darüber im Ungewissen, was als nächstes geschieht. Umsonst die Hoffnung, die Frage würde an anderer Stelle vollständig geklärt. Jace taucht Seiten später einfach unter falschem Namen aber bei bester Gesundheit in den Bergen auf.

Da sich die Handlung spannend fortsetzte, war ich milde gestimmt und bereit, über diese Enttäuschung hinweg zu sehen. Zumindest für kurze Zeit, dann formte sich ein neues Fragezeichen: Lang und breit wurde angekündigt, dass niemand, aber auch wirklich niemand weiß, welcher der Jugendlichen aus dem Camp der Zeuge ist. Aber anstatt das Verwirrspiel um Jace und all seine wunderbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, gibt Koryta die Identität seines Helden schneller preis, als ich meine akkurate Liste mit den Namen der Jungen schreiben konnte, um munter mitraten zu können, hinter welchem Charakter sich Jace verbirgt.
Klarer Fall von falscher Erwartungshaltung! Ich legte zerknautscht den Stift beiseite.
Da mich Jaces' Angst innerhalb der Jugendgruppe aufzufliegen weiter fesseln konnte, sah ich aber auch darüber hinweg; etwas, was mir im weiteren Verlauf der Handlung seltener gelang!

Die Story kippt spätestens mit dem Eintreffen der Killer in den Bergen. Koryta folgt ab hier einem soliden, aber überraschungslosen Thrillerkonzept ' routinierte Leser werden viele Entwicklungen vorausahnen, einiges wird ihnen vage bekannt vorkommen. Allen voran die teuflischen Blackwells, die an eine grobe Version diverser Tarantino-Killer erinnern und ihre Morde mit ausdauernden Unterhaltungen einleiten. Ich bin versucht zu sagen, sie wollen ihre Opfer tot reden, da sich diese Szenen unverhältnismäßig in die Länge strecken, aber tatsächlich bringen die Blackwells die Dinge etwas traditioneller zuende. Es sind klischeehafte Bösewichte, über die man nicht viel erfährt. Sie sind böse. Das muss wohl reichen.

Aufrichtig bedauert habe ich die Verlagerung des Schwerpunktes innerhalb der Story. Statt die Entwicklung und Ängste von Jace einzufangen, liegt das Augenmerk vermehrt auf den Sorgen und Gedanken von Survivalspezialist Ethan, dessen Frau Allison und denen von Brandwache Hannah. Trotz der ausgiebigen Einblicke in das Seelenleben der Protagonisten, lösen sich diese aber nicht von den üblichen Genre-Stereotypen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es.
Aber ganz ehrlich:
Sie starb!

Zwar gelingen dem Autor immer wieder Spannungsspitzen, doch durch die Voraussehbarkeit der Ereignisse, einige gewollt-gewaltsam-aus-dem-Hut-gezauberte Wendungen und etliche logische Mängel war ich irgendwann aus dem Buch raus.
Noch dazu steigert sich Koryta gegen Ende in ein amerikanisches Pathos par excellence hinein und lässt seine Helden in einer Weise über sich hinaus wachsen, dass es mich schüttelte.

Natürlich handelt es sich um einen einfachen Thriller und man sollte die Messlatte nicht zu hoch anlegen. Aber Vorgänger aus Film und Literatur haben vorgemacht, wie gut die Survivalthematik umgesetzt werden kann ' das reicht von cineastischen Highlights wie 'Mörderischer Vorsprung' (1988) mit Sidney Poirtier bis hin zu den Panembüchern. "Die mir den Tod wünschen" gleicht jedoch einem ausgefransten Teppich, der auf einer Seite noch dicht und fest gewebt ist und zur Mitte hin immer fadenscheiniger wird