Rezension

Solide Geschichte, die mich nicht ganz überzeugte

Das Geschenk - Sebastian Fitzek

Das Geschenk
von Sebastian Fitzek

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt 
Milan begegnet eines Tages einem Mädchen, das einen Zettel an eine Autoscheibe hält. Milan kann den Zettel aber nicht lesen, weil er Analphabet ist. Aber er hat ein fotografisches Gedächtnis und kann die Buchstaben mühelos nachzeichnen, obwohl er sich deren Bedeutung nicht bewusst ist. Doch wer ist das Mädchen? Was hat es mit dem Zettel auf sich? 

Sebastian Fitzek erzählt die Geschichte wieder aus mehreren Perspektiven. Zum einen erleben wir Das Geschenk größtenteils aus der Perspektive von Milan. Doch auch seiner Freundin Andra und dem Mädchen, dessen Zettel Milan entdeckt, sind ein paar Kapitel gewidmet. Sehr faszinierend fand ich, dass in jedem der Kapitel Hinweise versteckt sind und ich mich immer mehr fragte, wem Milan überhaupt trauen kann und ob die Geschichte für ihn ein gutes Ende nimmt. 

Was das Thema Analphabetismus betrifft, wirkt es so, als ob der Autor hier sehr gut recherchiert hat. ("Wirkt" deswegen, weil ich keine Analphabet*innen im Freundes- oder Bekanntenkreis habe und deswegen nicht beurteilen kann, ob das Thema gut umgesetzt ist). In Frankfurt bei der Buchmesse haben wir erfahren, dass Sebastian Fitzek für diesen Roman auf einen Sensitivity Reader, nämlich auf Tim-Thilo Fellmer zurückgriff, der ein ehemaliger Analphabet ist und heute Kinderbücher schreibt.

Spannend finde ich, dass dieser Psychothriller mit dem Thema Analphabetismus beworben wird, aber in der Geschichte nach und nach ein anderes Thema Raum einnimmt. Milans Analphabetismus scheint ein Symptom dieses Themas zu sein. Und hier kommen wir auch gleich zu meiner inhaltlichen Kritik: Dieser Wechsel von Analphabetismus als Hauptthema hin zur anderen Thematik war mir nicht schlüssig genug ausgearbeitet. Hier werden nämlich grundlegende Fragen aufgeworfen, die in der Geschichte selbst nicht beantwortet werden (können). Das hat mich dann etwas frustriert, weil wir als Hörer*innen an einer wesentlichen, wichtigen Geschichte wieder uns selbst überlassen werden. 

Die Charaktere in Das Geschenk waren ebenfalls sehr spannend, aber mir stellenweise nicht gut genug ausgearbeitet. Milan als Protagonist wirkt ruhelos und wünscht sich Antworten auf viele Fragen. Allerdings muss er sich, um diese Antworten zu bekommen, erst einmal auf eine Reise begeben. Obwohl Milan häufig impulsiv und teils auch aggressiv handelt, fand ich ihn als Protagonisten interessant und habe seine Handlungen nicht in Frage gestellt. 

Das Problem an den anderen Charakteren ist, dass ich nicht viel über sie schreiben kann. Gerade den einen Charakter, den ich nicht gut dargestellt finde, hat etwas mit dem oben beschriebenen zweiten Thema zu tun. Dennoch fehlte mir das Motiv dieses Charakters. Ich war mir nicht sicher, ob das fehlende Motiv an den Kürzungen des Hörbuches lag, oder ob es wirklich nicht vorhanden war. 

Ich bin diesmal ziemlich beeindruckt von der Hörbuch Gestaltung. Da audible schon seit Jahren die Rechte an den ungekürzten Hörbuchausgaben von Sebastian Fitzeks Romanen hat, ist der Argon Verlag vor die Herausforderung gestellt, inhaltliche Kürzungen an den Thrillern des Autors vorzunehmen, bei denen eigentlich jedes Detail wichtig ist.

Vor Jahren habe ich einen gekürzten Thriller von Sebastian Fitzek gehört und war ziemlich genervt, weil ich das Gefühl hatte, dass mir die halbe Geschichte fehlt. (Damals sind die Titel noch bei einem anderen Hörbuchverlag erschienen). Allerdings war es auch hier nur ein subjektives Empfinden und ich hatte keine Ahnung, ob ich Recht hatte. Dennoch schwor ich mir damals, dass ich niemals wieder einen gekürzten Thriller hören wollte.

Doch nachdem mir Fische, die auf Bäume klettern, was Anfang des Jahres erschien, schon gut gefallen hat, beschloss ich mein Glück wieder zu versuchen. Und was soll ich sagen? Ich hätte nie damit gerechnet, dass sch eine Geschichte, die auf gerade mal um die 360 Seiten erzählt wird, so gut kürzen lässt, ohne, dass ich das Gefühl habe, viel verpasst zu haben. Es gab gerade mal zwei Stellen, bei denen es mir so vorkam, als ob Informationen weggefallen sind:

Milan trifft auf einen Nebencharakter, der ihm Zitate aus deutschsprachigen Liedern nennt. Milan muss dann das Lied und den Interpreten erraten und außerdem benennen, welche Formulierung den Nebencharakter hier nervten. Leider gab es in der gekürzten Fassung nur zwei Zitate. Ich vermutete, dass es im ungekürzten Hörbuch mehrere Liedzitate gibt, da ich sonst keinen Sinn darin gesehen hätte, dieses Spiel in die Geschichte einzuführen.
An einer anderen Stelle gab es für mich einen etwas schnellen Szenenwechsel, der aber in ein paar Sätzen gut erklärt werden konnte. Beide Situationen trugen also nicht dazu bei, dass uns wichtige Informationen entgingen. 

Wie gewohnt wird auch dieser Roman von Simon Jäger gelesen. Manche Hörer*innen haben bei den Harry-Potter-Lesungen von Rufus Beck das Gefühl nach Hause zu kommen. Nach den ersten Minuten von Das Geschenk stellte ich fest, dass es mir bei der Kombination Fitzek-Jäger so geht. Obwohl sich Simon Jäger jede Geschichte neu aneignen muss, habe ich den Eindruck, dass er weiß, wie er Sebastian Fitzeks Romane interpretiert. Er lässt mit seiner Interpretation nicht nur Charaktere lebendig werden, sondern schafft es auch das Tempo von Fitzeks Psychothrillern zu transportieren und zwar so, dass wir actionreichen Stellen den Überblick behalten, aber auch in ruhigen Momenten mit unseren Charakteren zur Ruhe kommen können. 

Vor einer Weile habe ich mich gefragt, wie ich den Schreibstil von Sebastian Fitzek besser beschreiben kann. Inzwischen habe ich einige seiner Thriller gelesen und das Gefühl mich häufig zu wiederholen. Er erzählt seine Romane aus der dritten Person. So tauchen wir auch hier wieder, wie bereits oben angedeutet, in verschiedene Charaktere ein. Faszinierend finde ich, dass die dritte Person mir hier fast so lebendig vorkommt, als würde die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt werden. Was ich an Sebastian Fitzeks Schreibstil mag, sind die lebendigen Dialoge, die ich sehr gerne höre. 

Was mich aber störte ist, dass Das Geschenk gleich wieder mit einer körperlich, gewalttätigen Szene einsteigt. Der Autor sagt in Interviews zwar immer, dass es ja das Kopfkino der Leser*innen ist, dass diese Szenen lebendig werden lässt. Dennoch ist es eine Szene, in der ich mein Kopfkino nicht einmal anwerfen muss, um zu wissen, dass ich darüber nichts lesen bzw. in diesem Fall eben hören möchte. 

Gesamteindruck 
Diesmal habe ich mich darin versucht, Spuren zu erkennen und ihnen zu folgen, um die Auflösung diesmal vielleicht sogar vor dem Protagonisten entdecken zu können. Doch Sebastian Fitzek hat es mal wieder geschafft, die Geschichte mit einem ganz einfachen Trick aufzulösen. Einen Trick, auf den ich beim besten Willen nicht gekommen wäre. 
Insgesamt hat mir Das Geschenk recht gut gefallen. Gerade die Überraschung zum Schluss hat die Geschichte nochmal ordentlich über den Haufen geworfen. Dennoch hat Das Geschenk auch Schwächen, die dafür sorgen, dass die Geschichte nicht zu meinen Lieblingsromanen des Autors gehört.