Rezension

Solide Geschichte - Leider gehöre ich nicht zur Zielgruppe

Ophelia Scale - Die Welt wird brennen - Lena Kiefer

Ophelia Scale - Die Welt wird brennen
von Lena Kiefer

Bewertet mit 3.5 Sternen

Cover / Gestaltung 
Das Hardcover ist mit einem Schutzumschlag gestaltet. Auf der Vorderseite sehen wir den Oberkörper eines grimmig dreinblickenden Mädchens. Darunter steht der Schriftzug des Titels. Zu Beginn rollte ich etwas mit dem Auge, als ich das Cover gesehen habe und zwar aus zwei Gründen: Zum einen sehen wir hier keine Silhouette, sondern ein Gesicht, weswegen uns die Möglichkeit genommen wird, uns Ophelia Scale selbst vorzustellen.

Zum anderen bringt das Cover das Merkmal von Dystopien ziemlich gut auf den Punkt: In Dystopien gibt es meistens eine fragwürdige Gesellschaft und eine*n Protagonist*in, der/die entweder aktiv oder passiv Teil einer Revolution wird. Ophelias Blick deutet also darauf hin, dass ihr etwas gar nicht passt. Im ersten Moment nervte es mich, weil ich befürchtete auf eine trotzige Protagonistin zu treffen.

Allerdings stellte ich fest, dass ich je mehr ich in die Geschichte eintauchte, das Cover letztendlich immer treffender fand, weil es Ophelia als Protagonistin irgendwie recht gut auf den Punkt bringt.

Handlung 
Als ich den Klappentext gelesen habe, befürchtete ich eine klassische Dystopie vor mir zu haben und genau zu wissen, wo Ophelia am Ende des ersten Bandes landen wird. Schnell stellte sich heraus, dass ich dadurch, dass ich schon einige Dystopien gelesen habe, tatsächlich hier und da ahnte in welche Richtung die Geschichte lief. Allerdings hielt Lena Kiefer aber auch Überraschungsmomente und ein - zumindest für mich - neues Thema bereit, über das ich gerne mehr gelesen hätte und was aus meiner Sicht etwas zu kurz kam.

Wir erleben zu Beginn eine Ophelia, die genau weiß, was sie tut. Ihr Ziel besteht darin, den König zu stürzen. Schließlich bietet sich ihr die perfekte Gelegenheit. Es werden nämlich neue Wachleute für die Königliche Garde gesucht. Da Ophelia ziemlich gut in Form ist, rechnet sie sich bei den Aufnahmeprüfungen sehr gute Chancen aus. Doch wird man ihr falsches Spiel durchschauen?

Im ersten Band erleben wir Ophelia hauptsächlich in der Aufnahmeprüfung und später auch in ihrer Ausbildung als Anwärterin auf eine Anstellung in der Königlichen Garde. Mit dieser Handlung erinnerte mich die Geschichte ein bisschen an Red Rising, da sich Darrow im ersten Band ebenfalls in seiner Ausbildung befindet.

Was die Handlung betrifft, bin ich allerdings hin- und her gerissen. Einerseits finde ich die Geschichte aus objektiver Sicht betrachtet sehr gut ausgearbeitet. Wir haben eine tolle Protagonistin, die zwar Schwächen hat, aber dennoch eine starke Frauenfigur darstellt. Außerdem widmet sich Lena Kiefer in dieser Reihe dem Thema Künstliche Intelligenz, das ich bisher nur in Filmen verarbeitet gesehen habe. Somit greift sie bei ihrer Handlung nicht auf schon längst verbrauchte Themen zurück, sondern bringt etwas Neues ein, über das ich grundsätzlich mehr lesen möchte.

Allerdings gibt es eben diese typischen Merkmale einer Dystopie: Natürlich braucht es - allerdings nicht für mich - eine Liebesgeschichte, die zwar gut eingefädelt war, aber mich, sobald die Beziehung in Gang kam, auch etwas langweilte.

Schließlich gab es immer wieder diese Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass an der Handlung irgendetwas faul ist, wie beispielsweise Personen, die es mit Ophelia vermutlich nicht gut meinen. Allerdings durchschaute ich nicht, wie diese Momente aufgelöst wurden. Meistens kam dann aber der Punkt, an dem sich meine Vermutung bestätigte und die Situation kippte. So gab es beispielsweise eine Szene, in der Ophelia Scale mithilfe einer Intrige dafür sorgen wollte, dass ein anderer Anwärter von der Ausbildung ausgeschlossen wird. Wir erlebten mit welcher Genauigkeit sie ihre Aktion plante. Mein Gefühl sagte mir, dass irgendetwas an dem Plan schief gehen würde. Und genauso kam es dann auch. Das, was von der Autorin als Überraschungsmoment eingebaut war, erreichte mich leider nicht.

Allerdings liegt das nicht daran, dass Lena Kieer ihr Handwerk nicht versteht, sondern daran, dass ich eigentlich nicht mehr zur typischen Jugendbuch-Zielgruppe gehöre. Daher vermute ich sehr stark, dass ich, wenn ich die Geschichte mit zwölf oder dreizehn Jahren entdeckt hätte, vor allem mit Ophelia mitgefiebert hätte und ich noch nicht viel von der Geschichte durchschaut hätte.

Charaktere 
Lena Kiefer hat hier interessante Charaktere geschaffen. Allen voran Protagonistin Ophelia, die es alles andere als leicht hat. Sie muss nämlich nicht nur ohne technische Hilfsmittel auskommen, sondern auch den Verlust ihrer ersten großen Liebe verarbeiten. Das Schlimme an der Sache ist, dass sie mit niemandem über das reden kann, was sie beschäftigt. Denn das Volk hat dem König gegenüber vor allem Dankbarkeit zu zeigen. Schließlich ist die Bevölkerung dank ihm versorgt.

Das Schöne an Ophelia ist vor allem, dass sie eine starke Frauenfigur darstellt. Natürlich hat sie in Kampfsituationen nicht dieselben körperlichen Voraussetzungen, wie ihre Kollegen. Sie beweist aber vor allem, dass sie Situationen gut durchschauen und schnell darauf reagieren kann. Besonders gefallen hat mir, dass sie in der Geschichte aus eigener Kraft heraus funktioniert und keine männlichen Nebencharaktere benötigt, die ihr unter die Arme greifen. In den wesentlichen Situationen ist sie nämlich immer alleine und muss sich somit auch alleine beweisen.

Interessant wird es besonders, als Lucien ins Spiel kommt. Während er mir zu Beginn noch recht sympathisch war, weil er sich mit ähnlichen Problemen herumschlug, wie Ophelia, ging er mir recht schnell auf die Nerven, wobei das hauptsächlich damit zusammenhing, dass mich der Handlungsstrang mit der Liebesgeschichte nicht interessierte und es nicht beispielsweise daran lag, dass er als Charakter unlogisch dargestellt wurde.

Wenn ich in letzter Zeit Geschichten lese oder höre, versuche ich immer, die Nebencharaktere im Blick zu haben. Irgendwo habe ich nämlich mal gelesen, dass kein Charakter ohne Grund in die Geschichte eingeführt wird und jeder Charakter irgendwie wichtig für die Geschichte ist. Entweder um die Eigenschaften der Protagonisten besser darzustellen, oder um in entscheidenden Situationen zur Stelle zu sein.

Und so gab es auch hier einen Nebencharakter aus dem ich zu Beginn nicht so recht schlau wurde und der gegen Ende eine wichtige Funktion bekam. Das hat mich sehr gefreut, weil so ein neuer Handlungsstrang eingeführt wurde, mit dem ich nicht gerechnet habe.

Anfang und Ende 
Den Anfang definiere ich hier als die Leseprobe, was ungefähr die ersten vierzig Seiten der Geschichte darstellen. Während ich nach dem Blick auf das Cover und nach dem Lesen des Klappentextes eher aus Pflichtbewusstsein zur Lektüre griff - schließlich hatten wir sie beim Bücherstammtisch gewählt und da wäre es blöd, nicht mitzulesen - konnte mich Lena Kiefer mit dem Anfang der Geschichte von sich überzeugen. Wir erleben Ophelia gleich in Aktion und haben somit die erste Szene, in der wir den Atem anhalten und hoffen müssen, dass sie unbeschadet aus der Situation herauskommt. Der Einstieg hat mir wirklich sehr gut gefallen, weil wir die Welt in der Ophelia lebt, so aktiv erleben können und nicht erstmal ein seitenlanges Kapitel über uns ergehen lassen müssen, in dem der Aufbau der Welt geschildert wird.

Das Ende hingegen hat mich sehr enttäuscht. Das hängt aber nicht mit dem Cliffhanger zusammen, den wir geliefert bekommen, sondern damit, dass ich, wahrscheinlich ähnlich wie Ophelia, verwirrt zurückgelassen wurde. Während Ophelia immer mehr glaubt, auf dem falschen Weg unterwegs zu sein und sich schließlich für eine Seite entscheidet, passiert gegen Ende etwas, das sie an ihre ursprüngliche Mission erinnert. Sie muss sich schließlich fragen, wem sie überhaupt trauen kann. Genau dieser Aspekt war mir zu holprig eingefädelt. Hier hätte ich mir während der gesamten Geschichte mehr Hinweise gewünscht, die darauf hindeuten, dass nicht klar ist, wer im guten und wer im schlechten Team spielt. Es hätten beispielsweise Hinweise sein können, die wir als Leser*innen zwar erkennen, die Ophelia aber noch nicht richtig durchschauen kann. Das Ende ist trotz des Cliffhangers objektiv aber richtig gut gewählt, weil Ophelia in einer Situation zurückbleibt aus der sie kaum entkommen kann. Somit wird also das Interesse für die Folgebände geweckt.

Schreibstil 
Womit mich Lena Kiefer aber beeindruckte und vollkommen überzeugen konnte, war ihr Schreibstil. Sie erzählt die Geschichte aus der Sicht von Ophelia und somit der Ich-Perspektive. Uns wird schnell klar, dass sich Ophelia selbst vor ihrer Familie hinter einer Fassade verstecken muss und daher viele Dinge, die sie beschäftigen mit sich selbst ausmacht.

Außerdem fand ich es spannend zu erleben, wie Lena Kiefer die ganzen technischen Neuerungen ihrer Welt in die Geschichte einbindet und zwar so, dass wir nicht das Gefühl haben, einen Lexikoneintrag vor uns zu haben, aber dennoch wissen, wie das Gerät funktioniert. Der Schreibstil gehörte mit zu den Gründen, weswegen ich die Geschichte für meine Verhältnisse unglaublich schnell beendet habe. Der Schreibstil ermöglichte mir nicht nur einen schnellen Einstieg in die Geschichte, sondern trug mich auch durch die Handlung.

Gesamteindruck 
Wäre ich zwölf oder dreizehn Jahre alt, hätte ich diesen Reihenauftakt mit Sicherheit gefeiert und dem zweiten Teil, der vor kurzem erschienen ist, entgegengefiebert.

Doch inzwischen bin ich Mitte zwanzig und habe schon einige Dystopien gelesen. Ophelia Scale - Die Welt wird brennen bringt interessante Aspekte mit sich, über die ich gerne mehr gelesen hätte. Allerdings gab es immer wieder diese Wendungen in der Handlung, die ich zwar erahnen, aber nicht hundertprozentig vorhersehen konnte.

Dennoch kann ich diesen Reihenauftakt allen empfehlen, die noch nicht viele Dystopien gelesen haben oder dringend Titel aus dem Genre suchen, in dem wir eine starke Protagonistin in Aktion erleben.