Rezension

Sommer in Maine

Sommer in Maine - J. Courtney Sullivan

Sommer in Maine
von J. Courtney Sullivan

Bewertet mit 5 Sternen

"Wenn Sie nur ein einziges Buch in die Ferien mitnehmen wollen, dann sollten Sie dieses einpacken!" Mit diesem Zitat aus der "Brigitte" bewirbt der Verlag das Buch. Ein Zitat, dem ich einerseits voll beipflichten kann - auch ich hatte es mit im Urlaub und es war für mich die bisher berührendste Lektüre dieses Sommers -, die ich andererseits aber auch eventuell irreführend finde. Denn das leichte, lockere Sommerbuch, als das es oft angepriesen und empfunden wird, ist es in meinen Augen nicht. Zwar ist es in einem leicht lesbaren, unangestrengtem Stil verfasst, durchaus geeignet für faule Stunden im Liegestuhl, inhaltlich enthält es aber einiges an Sprengkraft und Tragik.
Es sind die Frauen der Familie Kelleher, die im Mittelpunkt stehen. Durchweg keine einfachen Persönlichkeiten und mit sehr schwierigen Beziehungen untereinander. "Familienoberhaupt" ist Alice, die die Sommermonate seit über sechzig Jehren in einem Ferienhaus in Cape Neddick in Maine verbringt. Ihr Mann hatte es einst bei einer Wette gewonnen und die Familie manch schöne Sommer hier verbracht. Nach Daniels Tod bröckelt die Familie ein wenig, man geht sich möglichst aus dem Weg, hat den Sommer in Monate aufgeteilt, die den jeweiligen Familien der drei Kinder, mittlerweile auch schon im Großeltern-Alter vorbehalten sind. Besonders problematisch ist das Verhältnis von Alice zu ihrer ältesten Tochter Kathleen. Nie hat sie dieses Kind haben wollen, ihr wirft sie die gescheiterten Träume von einer Karriere als Malerin vor, von einem verpassten großartigen Leben. Kathleen wiederum hat ihrer Mutter so einiges vorzuwerfen, vor allem natürlich ihren Mangel an Liebe, aber auch ihre Alkoholsucht. So perfekt Alice nämlich als Ehefrau, Hausfrau, Mutter nach außen scheinen wollte, so wenig gelang es ihr, das von ihr nach einem tragischen Geschehen in ihrer Jugend mehr oder weniger als Buße angenommene Leben zu akzeptieren oder gar zu lieben. Alice ist bis ins hohe Alter eine schwierige, verbitterte, zuweilen gar bösartige Frau geblieben. Wie es dazu kam, erfährt der Leser nach und nach. Aber auch die anderen Kelleher-Frauen tragen so manche Abgründe mit sich herum. Besonders ansprechend empfand ich, das die einzelnen Personen in den verschiedenen Perspektiven immer wieder anders beleuchtet werden und sich der Leser dadurch ein eigenes Bild von ihnen machen kann. Das Buch vereint melancholische und witzig-ironische Passagen, wird zuweilen, z.B. bei der Schilderung eines schrecklichen Brandes, richtig ergreifend. Es schildert die im Großen oder Kleinen gescheiterten Leben seiner Protagonistinnen, aber auch ihre Freuden, ihre Hoffnungen auf ein irgendwie zu erreichendes Glück. Es schildert, wie schwierig, aber auch wie wichtig und wertvoll das Projekt Familie ist oder sein kann. Die Figuren kommen dem Leser dabei sehr nahe und der Abschied am Ende fällt entsprechend schwer. Ein schönes Buch, durch das der Sommer weht, aber kein sommerleichtes Buch zum einfach Weglesen.